"In Deutschland wird zu wenig gegen Antisemitismus getan"
Zentralrat warnt Juden vor Kippa in Problemvierteln - Robbe kritisiert Polizei und Staatsanwaltschaft

Sollen sich Juden in Problemvierteln durch das Tragen einer Kippa zu erkennen geben? Der Zentralrat warnt davor. Reinhold Robbe fordert im Interview mehr Schutz für die jüdische Minderheit. Foto: dpa
Zentralrat warnt Juden vor Kippa in Problemvierteln - Robbe kritisiert Polizei und Staatsanwaltschaft
Von Andreas Herholz, RNZ Berlin
Berlin. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hält es für gefährlich, in überwiegend von Muslimen bewohnten Vierteln einiger Städte die Kippa zu tragen. Juden sollten sich zwar nicht aus Angst verstecken, und die meisten jüdischen Einrichtungen seien gut gesichert, sagte Ratspräsident Josef Schuster am Donnerstag im rbb- Inforadio. Die Frage sei aber, "ob es tatsächlich sinnvoll ist, sich in Problemvierteln, in Vierteln mit einem hohen muslimischen Anteil, als Jude durch das Tragen der Kippa zu erkennen zu geben - oder ob man da besser eine andere Kopfbedeckung trägt".
Reinhold Robbe (60, SPD) ist Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Im Interview mit der Rhein-Neckar-Zeitung fordert er eine Aktuelle Stunde des Parlaments zum Thema Antisemitismus.
Josef Schuster warnt Juden davor, mit der Kippa in Gegenden mit einem hohen Anteil von Muslimen zu gehen. Ist die Situation wirklich so dramatisch?
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Die Warnung von Herrn Schuster ist auf jeden Fall berechtigt. Von 2013 auf 2014 ist die Zahl der antisemitischen Straftaten in Deutschland um 25 Prozent gestiegen. Ich habe im letzten Jahr selbst erleben müssen, wie es bei anti-israelischen Demonstranten Ausschreitungen und antisemitische Parolen gegeben hat, ohne, dass dies verfolgt worden ist. Es stellt sich die Frage, ob unser Rechtsstaat heute alles unternimmt, um für den Schutz der jüdischen Minderheit in Deutschland Sorge zu tragen.
Sie kritisieren Polizei und Justiz?
Polizei und Staatsanwaltschaft wirken hier zum Teil unsicher und überfordert. Nicht nur die Sicherheit Israels sollte deutsche Staatsraison sein, sondern auch der Schutz unserer jüdischen Mitbürger in Deutschland. Wir müssen nicht nur in Sonntagsreden gegen Antisemitismus kämpfen, sondern jeden Tag in der gesellschaftlichen Realität. Das Thema gehört auf die Tagesordnung des Deutschen Bundestages. Ich erwarte eine Aktuelle Stunde des Parlaments dazu und auch eine Regierungserklärung der Kanzlerin.
Was muss darüber hinaus geschehen?
Wir müssen stärker den Blick auf Antisemitismus in muslimischen Kreisen richten. Da gilt es bereits Kindern und Jugendlichen klarzumachen, dass in Deutschland jede Minderheit geschützt wird. Für die jüdische Minderheit gilt das ganz besonders. Leider ist in der türkischstämmigen Gesellschaft in Deutschland eine gewisse Feindseligkeit gegenüber Israel festzustellen. In Deutschland wird zu wenig gegen Antisemitismus getan. Man hat es bisher dem Zufall und freiwilligen Initiativen überlassen, sich um die Bekämpfung zu kümmern.
Was kann die Politik leisten?
Der Staat muss hier endlich handeln. Wir brauchen eine ganze Palette von Maßnahmen. Bundesregierung und Länder sind jetzt hier in der Pflicht. Wenn sich Juden in Deutschland hier nicht mehr in bestimmte Viertel trauen können, ist das doch ein Armutszeugnis und beschämend. Wo bleibt eigentlich das Zeichen der Solidarität mit unseren jüdischen Mitbürgern? Nicht-Juden sollten einmal mit einer Kippa durch Großstädte wie Frankfurt, Berlin oder Hamburg gehen. 20 Prozent der Menschen in Deutschland sind latent antisemitisch. Das können wir so nicht hinnehmen. Es muss uns doch beschämen, dass es siebzig Jahre nach Hitler-Diktatur und Holocaust in Israel eine unglaubliche Sympathie gegenüber Deutschland und den Deutschen gibt und umgekehrt mehr als zwei Drittel der Deutschen skeptisch auf Israel und die Israelis blickt.