Ein Stück Stoff mit hohem Symbolwert

Zum Burkaverbot kommt es nicht - Aber auf Ämtern soll jeder sein Gesicht zeigen müssen

18.08.2016 UPDATE: 19.08.2016 06:00 Uhr 2 Minuten, 51 Sekunden

Vollverschleierte Frauen mit Nikab - aufgenommen im Juni 2015 in Offenbach bei einer Salafistenkundgebung. Foto: dpa

Zum Burkaverbot kommt es nicht - Aber auf Ämtern soll jeder sein Gesicht zeigen müssen

Von Tobias Schmidt, RNZ Berlin

Berlin. Viel Zoff um ein Stück Stoff: Muss die Burka verboten werden? Der Streit über die muslimische Vollverschleierung hat die Unions-Innenminister entzweit. Die wahlkämpfenden Hardliner aus Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, Lorenz Caffier (CDU) und Frank Henkel (CDU), mussten gestern um Gesichtswahrung ringen, denn ihre Rufe nach dem Totalverbot von Burka und Nikab stießen selbst in den eigenen Reihen auf Ablehnung.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will aber das "Gebot" durchsetzen, sein "Gesicht zu zeigen": Hinterm Steuer, beim Standes- oder Meldeamt soll die Vollverschleierung verschwinden. Das soll in der "Berliner Erklärung" zur Inneren Sicherheit, aufgegriffen werden, auf die sich die Ressortchefs der Unionsländer bis heute mit de Maizière (CDU) einigen wollen. Einigkeit gibt es beim Ausbau der Polizeikräfte und einer stärkeren Durchleuchtung des "Darknet". Dem Wunsch, radikalisierte und straffällige Asylbewerber schneller abzuschieben, steht auch der Koalitionspartner SPD offen gegenüber.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bemüht sich, die Sicherheitsdebatte von der Flüchtlingskrise abzukoppeln: Der islamistische Terrorismus sei "nicht durch die Flüchtlinge zu uns gekommen", sagte sie bei einer Wahlkampfveranstaltung in Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern, bei der sie Caffier den Rücken stärkte. In gut zwei Wochen wird dort gewählt. Und der CDU-Spitzenkandidat versucht mit markigen Sprüchen potenzielle AfD-Sympathisanten zu erreichen, um ein Wahldebakel zu verhindern: Die Burka "gehört nicht ins Straßenbild", mit einem Verbot müsse auch das "Sicherheitsgefühl" der Menschen berücksichtigt werden, fordert er.

Von den Unions-Innenministerkollegen ist aber nur noch der Berliner Henkel auf seiner Seite, für den die Burka ein "Käfig aus Stoff" ist und verboten gehört. Mit seiner harten Haltung hat sich Henkel längst von den potenziellen Koalitionspartnern in Berlin entfremdet. Nur ein Bündnis "jenseits der Henkel-CDU" könne Berlin voranbringen, meint SPD-Bürgermeister Michael Müller. Auch von den Schwergewichten unter den Unions-Innenministern werden Henkel und Caffier zurückgepfiffen: "Die Burka ist kein Sicherheitsproblem in unserem Land", beschied Bayerns Ressortchef Joachim Herrmann (CSU) kühl. SPD-Kollege Ralf Jäger aus Nordrhein-Westfalen spottete, wer die Burka verbiete, müsse auch Nikolauskostüme aus dem Verkehr ziehen. Gleichwohl gehen Caffier und Henkel nicht ganz mit leeren Händen aus dem Ringen hervor. Bundesminister de Maizière skizzierte gestern den sich abzeichnenden Kompromiss. "Über das Gebot, sein Gesicht zu zeigen, kann man gut reden." Es soll nach Wegen gesucht werden, dieses Gebot durchzusetzen, wo es notwendig sei: hinterm Steuer, auf dem Standes- und Meldeamt. Ein Verbot an sensiblen Orten hält auch die SPD für grundgesetzkonform, wie Partei-Vize Ralf Stegner signalisierte.

Nicht nur mit dem Burka-Verbot, auch mit dem Ruf nach Abschaffung des Doppelpasses wollen Caffier und Henkel im rechten Lager punkten. De Maizière lehnt das strikt ab. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) forderte die Union auf, das Thema endlich abzuhaken: "Der Doppelpass bleibt. Alles andere ist mit uns nicht zu machen." Für die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, sollte die CDU angesichts der weiterköchelnden Debatte "einmal klären, ob sie nun AfD sein will oder Partei der bürgerlichen Mitte".

Unstrittig ist hingegen die Aufstockung der Polizeikräfte - auch das wird in der "Berliner Erklärung" verlangt und wird schon seit Langem von der SPD gefordert. Zur personellen Aufstockung müssten auch "mehr Eingriffsmöglichkeiten" etwa im Internet kommen, schaltete sich die Kanzlerin vor der Innenministerkonferenz in die Debatte ein. Wenn jeder Bürger in den sozialen Netzwerken mehr dürfe als die Behörden, nutze die Personalverstärkung nichts. Die CDU-Chefin ist auch dafür, die herkömmliche Videoüberwachung durch Möglichkeiten der Gesichtserkennung weiter zu entwickeln. Der Vorschlag findet sich auch im Maßnahmenkatalog, den Thomas de Maizière vor einer Woche präsentierte. Daraus und aus der "Berliner Erklärung" soll in den kommenden Wochen ein "Gesamtpaket" zur Inneren Sicherheit geschnürt werden, kündigte die Kanzlerin an.

Noch unklar ist, wie die Abschiebungsregeln verändert werden sollen, um radikalisierte oder straffällige Asylbewerber schneller ins Flugzeug setzen zu können. Dass es oft nicht an den Regeln liegt, sondern an der Umsetzung, machte eine Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Linken gestern ein weiteres Mal deutlich: Seit Anfang vergangenen Jahres wurden 600 Flugzeug-Abschiebungen im letzten Moment gestoppt. In 330 Fällen war der Grund, dass sich die Betroffenen heftig wehrten. In 160 Fällen weigerten sich Piloten oder Fluglinien, die abgelehnten Asylbewerber außer Landes zu bringen. Nur in 37 Fällen weigerten sich die Zielstaaten, die Menschen aufzunehmen. Was mit ihnen nach der gestoppten Abschiebung geschehen ist, teilte das Bundesinnenministerium nicht mit. Allerdings: Im gleichen Zeitraum gab es 33 000 erfolgreiche Abschiebungen.