Der neue Hass in Deutschland

Zahl der politisch motivierten Straftaten auf Rekordhoch - Häufig fremdenfeindliche Motive

23.05.2016 UPDATE: 24.05.2016 06:00 Uhr 1 Minute, 58 Sekunden
Kundgebung vor Freital

Rund 250 Gegner eines Flüchtlingsheimes protestieren in Freital. Eine rechtsextreme Bürgerwehr aus der sächsischen Kleinstadt gerät nun ins Visier der Bundesanwaltschaft. Foto: Oliver Killig/Archiv

Von Christiane Jacke und Axel Hofmann

Berlin. Angreifer schleudern Molotow-Cocktails auf Flüchtlingsheime und pöbeln Schutzsuchende auf offener Straße an. Rechte marschieren gegen neue Asyleinrichtungen auf, schlagen Ausländer zusammen. Aber auch auf der anderen Seite eskaliert die Gewalt. Die Auseinandersetzungen zwischen linker und rechter Szene nehmen zu, ebenso die Attacken auf Polizisten. Die Zahl der politisch motivierten Straftaten hat einen neuen Höchststand erreicht.

Die Flüchtlingskrise hat die Republik aufgewühlt. Rechtspopulisten nutzten die Ankunft Hunderttausender Asylbewerber im vergangenen Jahr, um gegen Zuwanderer zu wettern, Ängste zu schüren und Zwietracht zu sähen. Und viele Fremdenfeinde, die bis dahin eher im Stillen schimpften, wagten sich vor - mit Hass-Tiraden im Netz und auf Demos gegen eine vermeintliche Überfremdung Deutschlands. Es haben sich neue Gräben aufgetan im Land. Die neue Statistik zur politisch motivierten Kriminalität zeigt dies auf eindrucksvolle Weise.

Seit 2001 gibt es einen eigenen "Meldedienst" für dieses Kriminalitätsfeld. Noch nie waren die Werte so hoch wie heute: Fast 39 000 politisch motivierte Straftaten im Jahr 2015, das ist ein Plus von 19 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Knapp 23 000 der Straftaten waren rechtsmotiviert (plus 34,9 Prozent), etwa 9600 linksmotiviert (plus 18,3 Prozent). Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagt, die Zahlen seien "geradezu explodiert".

Bei vielem handelt es sich um Propagandadelikte, Volksverhetzungen und derlei. Aber auch die Zahl der politischen Gewalttaten ist so hoch wie nie seit 15 Jahren: 4400 Fälle sind es, gut 30 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Der Großteil sind Körperverletzungen. Die Sicherheitsbehörden zählten im vergangenen Jahr aber auch 20 versuchte Tötungsdelikte mit politischer Motivation, in mehreren Fällen waren die Opfer Polizisten - und Flüchtlinge.

Die Zahl der Übergriffe gegen Asylunterkünfte - fast ausschließlich rechtsmotiviert - ist in die Höhe geschnellt und verfünffachte sich: von 199 Fällen 2014 auf 1031 ein Jahr später. Darunter sind viele Hakenkreuzschmierereien oder eingeschlagene Fensterscheiben, aber auch eine rasant steigende Zahl von Brandstiftungen oder körperlichen Attacken. Die Zahl der Gewalttaten nahm hier um mehr als 600 Prozent zu. "Auch das hat es in dieser Form noch nicht gegeben", klagt de Maizière. Die meisten Täter in diesen Fällen sind männlich, jung - und etwa die Hälfte ist vorher noch nie kriminell in Erscheinung getreten. Auch das macht de Maizière Sorgen. "Das ist ein Zeichen für die Polarisierung der Gesellschaft", meint er. Und es erschwere die Aufklärung, wenn die Täter der Polizei vorher noch nie aufgefallen seien.

Straftaten, die sich gezielt gegen bestimmte Gruppen richten - zum Beispiel Ausländer oder Obdachlose - nennt die Polizei "Hasskriminalität". Diese Delikte nahmen im vergangenen Jahr um 77 Prozent zu. Vor allem die fremdenfeindlichen Straftaten gingen sprunghaft nach oben, um 116 Prozent. Viel davon spielt sich im Internet ab. De Maizière spricht von einer Verrohung der Gesellschaft, klagt über massenhafte Beleidigungen, Hassmails und "übelste Gossensprache" im Internet. "Das ist ein gesellschaftliches Phänomen", sagt er.

Entspannt sich die Lage nun, da nur noch wenige Flüchtlinge ankommen? Nein, meint de Maizière. Eine Entspannung bei der politisch motivierten Kriminalität sei nicht in Sicht. Schon in den ersten drei Monaten von 2016 zählte die Polizei fast 350 Angriffe gegen Flüchtlingsunterkünfte - mehr als drei Mal so viel wie im ersten Quartal 2015.