T. C. Boyle: "Vielleicht holen ihn die Außerirdischen"

Der Kultautor über das Scheitern, Elektrogeräte, die unser Leben kontrollieren, und natürlich Donald Trump

16.02.2017 UPDATE: 18.02.2017 06:00 Uhr 4 Minuten, 41 Sekunden

Foto: dpa

Von Alexander R. Wenisch

Er ist einer der erfolgreichsten und spannendsten zeitgenössischen Autoren Amerikas: T.C. Boyle. Am heutigen Samstag ist der Kalifornier auf Einladung des Deutsch-Amerikanischen-Instituts (DAI) in Heidelberg, liest aus seinem aktuellen Roman "Die Terranauten". Acht Menschen leben für zwei Jahre in einem Terrarium, der "Ecosphere 2", um das Leben auf der Erde nachzubilden. Eine Anlehnung an das Experiment "Biosphäre 2" Mitte der 90er in Arizona. Doch auch diese schöne neue Welt ist geprägt von Eitelkeit, Missgunst, Rivalität. Boyles Lesung in der "Halle 02" ist seit Wochen ausverkauft. Wir sprachen mit Boyle, der in Santa Barbara in einem sogenannten Präriehaus des Stararchitekten Frank Lloyd Wright wohnt.

Wie schon in Ihrem Vorgänger-Roman "Hart auf Hart" suchen Menschen nun auch in "Die Terranauten" eine neue, bessere Welt. Sind Sie so unzufrieden mit der aktuellen Welt, dass Sie im Roman Fluchtorte "erfinden" müssen?

Ich bastle immer an der Konstruktion dieser Welt herum, die wir alle als Spezies bewohnen, die zum Aussterben verurteilt ist. Das ist einer meiner Spleens. Wenn ich mir einige meiner letzten Romane anschaue, dann fällt mir auch auf, dass ich mit verschiedenen utopischen Szenerien gespielt habe: die sexuelle Befreiung bei Dr. Kinsey in "Dr. Sex" bis zur Hippie-Kommune in "Drop City". Nun versuche ich eben in "Die Terranauten" eine komplett neue Welt zu erschaffen: "Drop City" unter Glas.

Hintergrund

Name: Tom Coraghessan (eigentlich: Thomas John) Boyle.

Geboren am 2. Dezember 1948 in Peekskill, New York.

Status: Kultautor.

Familie: Boyle ist seit 1974 mit Karen Kvashay

[+] Lesen Sie mehr

Name: Tom Coraghessan (eigentlich: Thomas John) Boyle.

Geboren am 2. Dezember 1948 in Peekskill, New York.

Status: Kultautor.

Familie: Boyle ist seit 1974 mit Karen Kvashay verheiratet, mit der er drei Kinder hat, Kerrie, Milo und Spencer. Das Paar lebt in Montecito bei Santa Barbara in Kalifornien.

Werdegang: Boyle hatte eine schwere Kindheit. Seine Eltern waren beide Alkoholiker, er hatte Schwierigkeiten in der Schule. An der State University in New York studierte er Englisch und Geschichte; an der University of Iowa erwarb er 1977 einen Doktortitel in englischer Literatur des 19. Jahrhunderts. Dort nahm er auch an einem Writers Workshop unter Leitung von John Irving teil, der zu seinem Mentor wurde.

Bücher: Boyle hat 60 Kurzgeschichten geschrieben und 16 Romane veröffentlicht ("Wassermusik", "Die Frauen", "Dr.Sex" und aktuell "Die Terranauten"). lex

[-] Weniger anzeigen

Die Lage in "Ecosphere 2" könnte paradiesisch sein, wären da nicht die Menschen mit ihren Trieben, mit Neid und Missgunst. Heißt das: Selbst wenn die menschliche Spezies noch einmal von Neuem anfangen könnte, wäre sie zum Scheitern verurteilt?

Scheitern ist relativ. Wir alle scheitern ja, weil wir geboren sind, um zu sterben. Was uns stützt, sind unsere Intelligenz, unsere Kunst, die Suche nach Erkenntnis in der Wissenschaft. Mein Interesse hier ist das eines Dramaturgen, der die Bühne bereitet für seine Charaktere und dann beobachtet, was passiert. Menschliche Begierden sind in Texten, die mit abgeschlossenen Räumen arbeiten, immer das zentrale Problem - das Scheitern, wenn Sie so wollen.

Glauben Sie nicht mehr, dass die Menschheit die Erde vorm Klimawandel retten kann?

Ich glaube, dass wir es versuchen müssen. Ungeachtet davon denke ich, dass eine große Katastrophe einen Großteil der Menschheit auslöschen wird - am wahrscheinlichsten eine biologische oder nukleare, wenn wir weiter um schwindende Ressourcen kämpfen, wie wir es bisher tun. Nach der Katastrophe werden wir eine Chance haben, neu anzufangen.

Sind Sie darauf vorbereitet?

Ich bin kein Untergangsprophet. Meine Hoffnung ist, dass es uns allen weiter gut geht, dass wir genug Ressourcen finden, dass sie für alle reichen - so unwahrscheinlich das auch sein mag. Aber wenn Sie auf diese neue, seltsame Randgruppe der survivalists anspielen: Da kann ich nur auf eine meiner ersten Storys "On For the Long Haul" aus dem Jahr 1980 verweisen. Da haben sich solche Überlebenskünstler in Hütten in Montana zurückgezogen - und die einzigen Wahnsinnigen, die sie da fanden, waren sie selbst.

Die Hauptfiguren in "Die Terranauten" sind zwei Jahre in dem riesigen Terrarium eingeschlossen. Schotten Sie sich gerne von der Gesellschaft ab?

Ich gehöre zu den wenigen Privilegierten, die es sich aussuchen können, wann sie öffentlich sein wollen und wann privat. Aber ich bin von der seltenen Sorte Autoren, die den Kontakt zu den Lesern genießen und auch gerne öffentlich auftreten. Aber als Autor musst du auch tief in dir selbst ruhen - wenn ich also nicht auf Lesereise bin, isoliere ich mich schon. Dann verbringe ich viel Zeit im Sierra National Forest. Unter den vertrockneten und von Käfern zerfressenen Bäumen können sich mein Geist und mein Körper erholen, da kann ich meine Geschichten schreiben.

Ist das der neue Luxus, nicht überall mitmachen zu müssen?

Ja. In der Vergangenheit hat unsere Gesellschaft nach auffälligem Konsum gestrebt - "Schau mich an, ich habe einen neuen Cadillac!" Jetzt verlangen wir nach immer mehr Privatsphäre.

Facebook, Instagram & Co.: Sind Sie in sozialen Netzwerken unterwegs?

Ich habe 1999 meine Seite tcboyle.com gestartet, war einer der ersten Autoren mit einer eigenen Webseite. Da hatte ich ehrlich gesagt nie großes Bedürfnis, Soziale Medien zu nutzen, als die einige Jahre später aufkamen. Ich hatte ja schon einen Weg, mit meinen Fans zu kommunizieren. Das hat sich aber geändert. Mittlerweile bin ich ein unverbesserlicher Tweeter. Ich nutze die Plattform aber nicht nur zur Kommunikation, sondern um - hoffentlich humorvoll -, mein Leben und meine Beobachtungen darzustellen. Wen auch immer das interessiert. Twitter ist für mich ein Unterhaltungsmedium, keine seriöse Plattform für Diskussionen. Dafür habe ich noch immer meine Website. Ansonsten mag ich es, dass alle Elektrogeräte, die unser Leben kontrollieren - Yes, Virginia, the robots have won the war -, serienmäßig einen Aus-Knopf haben.

In einem Interview 2015 sagten Sie, Sie würden Politik hassen. Dieser Zirkus würde Sie langweilen. Jetzt, nach der Wahl Trumps, ist Politik doch wieder spannend, oder?

Trump ist die Katastrophe, die über uns gekommen ist - und möglicherweise die Inkarnation des Endes unserer amerikanischen Demokratie. Ich lehne ihn ab, wie ich schon seinen rechten Vorgänger Bush abgelehnt habe. Trump, das muss doch auch seinen ignoranten und glühenden Anhängern klar sein, ist ein Psychopath, der uns alle in den Ruin treibt.

Vielleicht erwächst in der Ablehnung von Trump ja eine neue politische Bewegung.

Das hoffe ich sehr. Und wir sehen es bereits in den beispiellosen Protesten, die seine ersten Tage im Amt begleiten. Aber wie fadenscheinig ist denn unsere Hoffnung, wenn wir dafür beten müssen, dass uns eine Amtsenthebung, eine Herzattacke oder - das beste Szenario - eine Entführung durch Außerirdische retten wird. Im Übrigen: In meinem nächsten Buch "The Relive Box and Other Stories" tauchen erstmals in meinem Werk Außerirdische auf.

Wäre Trump eine gute Romanfigur?

Auf keinen Fall! Ich will mir meine künstlerische Freiheit nicht rauben lassen.

Glauben Sie an die These, das Amt werde Trump mäßigen?

Nein. Langeweile wird ihn mäßigen, der Präsidenten-Job interessiert ihn doch gar nicht. Aber ich befürchte, nachdem er unsere Wirtschaft zerstört hat, wird er, wie alle rechten Demagogen, einen Krieg anzetteln, um von dem Desaster abzulenken, das er mit unserem Leben angerichtet hat. Siehe George Orwells "1984".

Hält Trump vier Jahre durch?

Nein, glaube ich nicht. Er leidet an einigen, sehr eindeutigen psychischen Problemen, unter anderem an ADHS. Wenn er zerstört hat, was wir aufgebaut haben - individuelle Freiheit, Frauenrechte, die Umwelt, eine multikulturelle Gesellschaft und Erziehung - wird ihm langweilig und er wird in seinem Trump-Tower Zuflucht finden, wie ein Super-Bösewicht in irgendeinem Comic-Heft.

Einige Künstler und Prominente haben angekündigt, sie würden emigrieren, jetzt da Trump gewählt ist. Wäre das auch eine Option für Sie?

Wir bleiben und wir kämpfen! Das ist unser Land, auch wenn es momentan nach dem Gegenteil aussieht.

Es würde Sie nicht nach Kanada oder Europa ziehen?

Der einzige größere Umzug, über den ich nachdenke, ist der Richtung Friedhof, vier Blocks von hier. Da hat man einen schönen Blick über den Ozean. Aber ich hoffe, das steht eher später als früher an.

Sie waren vor 25 Jahren schon mal in Heidelberg, Lesung in der Weiss’schen Buchhandlung am Uni-Platz. Haben Sie noch Erinnerungen an den Besuch?

Wunderbar! Der Buchladen war voll, es hat geregnet wie Hölle. Es war eine spezielle Atmosphäre: Das Publikum war unglaublich gastfreundlich. Das Beste: Der erste Mensch, den ich in Heidelberg getroffen habe, wurde einer meiner engsten Freunde, der mittlerweile verstorbene Armin Abmeir, ein Mann mit enormer Vitalität und einer einnehmenden Seele.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.