Tagesthema Nachbarschaft

Oft geht’s um Hecken, noch öfter ums Prinzip

Nicht selten treffen Nachbarn vor Gericht aufeinander.

09.03.2017 UPDATE: 11.03.2017 06:00 Uhr 2 Minuten, 32 Sekunden

Wird die Hecke zu wenig geschnitten, kann das zu Streit unter Nachbarn führen. Doch Vorsicht: Auch die laute Heckenschere könnte Anlass bieten. Symbolbild: dpa

Von Denis Schnur

Eppelheim/Heidelberg. Die Schuhe, die der Nachbar im Erdgeschoss vor der Tür stehen ließ, hatten einen Eppelheimer wohl schon länger gestört. Er sah sich auf dem Weg in seine Wohnung im ersten Stock durch die vermeintlichen Stolperfallen gefährdet. Also sagte er sich: "Selbst ist der Mann", und räumte die Schuhe beiseite - "mehr oder weniger vehement", wie das Amtsgericht Heidelberg später schrieb. Die Aufräumaktion des Mannes landete bei den Richtern, weil der Eigentümer des Schuhwerks währenddessen daneben stand - und wenig begeistert war. Es kam zur Auseinandersetzung: Einer der beiden wurde im Gesicht verletzt, und die beiden Kontrahenten sahen sich einige Monate später vor dem Amtsgericht wieder - und beschwerten sich weiter vehement übereinander: Der Nachbar hänge regelmäßig die Wäsche des anderen im Keller ab. Teilweise würde schmutzige Wäsche aufgehangen. Und so weiter.

Was nach Banalitäten klingt, ist typisch für die Auseinandersetzung zwischen Nachbarn vor Gericht: Meistens ist der Streitwert gering, dafür taucht ein Vorwurf nach dem anderen auf. "Zwischen Nachbarn wird besonders hartnäckig gestritten", erklärt Jutta Kretz, Direktorin des Heidelberger Amtsgerichtes. Wenn man über einen längeren Zeitraum hinweg unangenehme Zustände ertragen müsse, werde oft bei der geringsten Kleinigkeit ein Rechtsstreit vom Zaun gebrochen - "weil das dann der sprichwörtliche Tropfen ist, der das Fass zum Überlaufen bringt", so Kretz. Und selbst wenn die Auslöser meist Kleinigkeiten wie eine abgesägte Hecke, über die Grenze ragende Äste oder eben Schuhe im Treppenhaus sind, versuchen die Parteien häufig um jeden Preis "ihr Recht" durchzusetzen. "Es geht ums Prinzip!", heiße es dann oft. Entsprechend simpel kann daher die Lösung solcher Fälle sein: Die beiden Eppelheimer einigten sich in einem Vergleich darauf, das Eigentum des jeweils anderen unangetastet zu lassen. Zudem wurde das Treppenhaus zur schuhfreien Zone erklärt.

Streitende Nachbarn - das ist erst mal nichts Ungewöhnliches, dazu trägt alleine die räumliche Nähe bei: Bei einer Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung (GFK) gab 2014 jeder Dritte an, sich bereits mit dem Nachbarn in die Haare bekommen zu haben.

Der Gang vor das Gericht, wie ihn die beiden Eppelheimer vorgenommen haben, bildet dabei jedoch die Ausnahme: Beim Amtsgericht Heidelberg, das für die Stadt sowie einige umliegende Gemeinden zuständig ist, seien es jährlich um die 30 Verfahren, die sich um eindeutige Nachbarschaftsstreitigkeiten drehten, schätzt Kretz. "Bei rund 3000 Verfahren sind das nicht sehr viele." Hinzu kämen aber einige "verkappte" Nachbarschaftsstreitigkeiten, wie die Gerichtsdirektorin deutlich macht: Klagen, die als "Mietsache" deklariert werden, sich aber eigentlich um Lärm- oder Geruchsbelästigungen aus der Nachbarwohnung drehen. Und die schwereren Fälle - etwa Beleidigung oder Körperverletzung zwischen Nachbarn - landen nicht im Amts-, sondern im Strafgericht. Eine genaue Fallzahl sei schwierig zu schätzen. Bei Kretz bleibt trotzdem der Eindruck, dass sich Nachbarn - zumindest in ihrem Amtsgerichtsbezirk - "nicht so oft streiten, wie man das vielleicht vermuten mag."

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Und wenn doch: Wie kommt es zum Krach? Deutschlandweit liegt es meistens am Lärm, wie die GFK-Studie zeigt. Dahinter folgen missachtete Pflichten - nicht geputzte oder zugestellte Treppenhäuser etwa - und Haustiere. Für ihren Bezirk kann Kretz keinen Trend ausmachen, dafür sei die Fallzahl zu niedrig. "Sicher dürften aber die Grenzbebauungen wie Hecken, Sträucher, Bäume oder Mauern einen großen Teil der Streitigkeiten ausmachen."

Dass Nachbarn aber auch positiv vor Gericht in Erscheinung treten können, zeigt ein aktueller Fall vor dem Heidelberger Betreuungsgericht. Dieses soll entscheiden, wie ein Demenzkranker in Zukunft versorgt werden soll. Seine Krankheit wurde 2005 offensichtlich, als er mit eigenartigem Verhalten gegenüber den Nachbarn mehrere Polizeieinsätze auslöste, wie Richterin Roseluise Koester-Buhl berichtet. Damit begann auch das Besondere an dem Fall: Drei Nachbarn, die vorher nicht viel mit dem Mann zu tun hatten, übernahmen dessen häusliche Betreuung. "Er wurde langsam in die ,Familie‘ integriert, mit der Zusage, nicht in ein Altersheim übersiedeln zu müssen", so Koester-Buhl. Elf Jahre lang kümmerte sich die nachbarschaftliche Gemeinschaft um den inzwischen hochgradig dementen Mann, bis die Pflegenden nun zum Teil selbst krank wurden.