Hardheims Leitfaden für Flüchtlinge sorgt für bundesweites Medienecho

Wichtiger Beitrag für friedliches Zusammenleben der Kulturen oder Bevormundung? Der Bürgermeister wehrt sich gegen Kritik.

08.10.2015 UPDATE: 09.10.2015 06:00 Uhr 2 Minuten, 22 Sekunden

Hardheim und die Flüchtlinge: Das ist seit Wochen das Thema in der 4600-Einwohner-Gemeinde. Foto: Busch

Von Rüdiger Busch und Alexander Albrecht

Hardheim. Als Volker Rohm im Mai letzten Jahres zum neuen Hardheimer Bürgermeister gewählt wurde, konnte er nicht ahnen, dass die 4600-Einwohner-Gemeinde im fränkischen Odenwald einmal 1000 Flüchtlinge aufnehmen muss.

Noch überraschender dürfte für den 53-Jährigen der jetzt einsetzende große Medienrummel sein. "Bild", "Spiegel", "Focus", "Die Welt" oder die "Süddeutsche" - plötzlich interessieren sich überregionale Blätter für den Ort.

Hintergrund

Hardheims Leitfaden für Flüchtlinge

"Der nachfolgende Text wird in vereinfachter Form in den verschiedenen Landessprachen durch Bedienstete des Betreibers den Flüchtlingen vor Ort näher gebracht.

Liebe fremde Frau, lieber fremder

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Hardheims Leitfaden für Flüchtlinge

"Der nachfolgende Text wird in vereinfachter Form in den verschiedenen Landessprachen durch Bedienstete des Betreibers den Flüchtlingen vor Ort näher gebracht.

Liebe fremde Frau, lieber fremder Mann!

Willkommen in Deutschland, willkommen in Hardheim.
Viele von Ihnen haben Schreckliches durchgemacht.
Krieg, Lebensgefahr, eine gefährliche Flucht durch die halbe Welt.

Das ist nun vorbei. Sie sind jetzt in Deutschland.

Deutschland ist ein friedliches Land.
Nun liegt es an Ihnen, dass sie nicht fremd bleiben in unserem Land, sondern ein Zusammenleben zwischen Flüchtlingen und Einwohnern erleichtert wird.

Eine Bitte zu Beginn: Lernen sie so schnell wie möglich die deutsche Sprache, damit wir uns verständigen können und auch sie ihre Bedürfnisse zum Ausdruck bringen können.

In Deutschland leben die Menschen mit vielen Freiheiten nebeneinander und miteinander:

Es gilt Religionsfreiheit für alle.

Frauen dürfen ein selbstbestimmtes Leben führen und haben dieselben Rechte wie die Männer. Man behandelt Frauen mit Respekt.

In Deutschland respektiert man das Eigentum der anderen.
Man betritt kein Privatgrundstück, keine Gärten, Scheunen und andere Gebäude und erntet auch kein Obst und Gemüse, das einem nicht gehört.

Deutschland ist ein sauberes Land und das soll es auch bleiben!
Den Müll oder Abfall entsorgt man in dafür vorgesehenen Mülltonnen oder Abfalleimer. Wenn man unterwegs ist, nimmt man seinen Müll mit zum nächsten Mülleimer und wirft ihn nicht einfach weg.

In Deutschland bezahlt man erst die Ware im Supermarkt, bevor man sie öffnet.

In Deutschland wird Wasser zum Kochen, Waschen, Putzen verwendet.
Auch wird es hier für die Toilettenspülungen benutzt.
Es gibt bei uns öffentliche Toiletten, die für jeden zugänglich sind.
Wenn man solche Toiletten benutzt, ist es hier zu Lande üblich, diese sauber zu hinterlassen.

In Deutschland gilt ab 22.00 Uhr die Nachtruhe. Nach 22.00 Uhr verhält man sich dementsprechend ruhig, um seine Mitmenschen nicht zu stören.

Auch für Fahrradfahrer gibt es bei uns Regeln, um selbst sicher zu fahren, aber auch keine anderen zu gefährden. (Nicht auf Gehwegen fahren, nicht zu dritt ein Rad benutzen, kaputte Bremsen reparieren und nicht mit den Füßen bremsen).

Fußgänger benutzen bei uns die Fußwege oder gehen, wenn keiner vorhanden, hintereinander am Straßenrand, nicht auf der Straße und schon gar nicht nebeneinander.

Unsere Notdurft verrichten wir ausschließlich auf Toiletten, nicht in Gärten und Parks, auch nicht an Hecken und hinter Büschen.

Mädchen und junge Frauen fühlen sich durch Ansprache und Erbitte von Handy-Nr. und facebook-Kontakt belästigt. Bitte dieses deshalb nicht tun!

Auch wenn die Situation für sie und auch für uns sehr beengt und nicht einfach ist, möchten wir sie daran erinnern, dass wir sie hier bedingungslos aufgenommen haben.

Wir bitten sie deshalb diese Aufnahme wert zu schätzen und diese Regeln zu beachten, dann wird ein gemeinsames Miteinander für alle möglich sein.

Stand 06.10.2015"

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Der Grund: Ein auf der Homepage der Gemeinde veröffentlichter "Leitfaden für Flüchtlinge". Die einen nennen den Text einen wichtigen Beitrag für das friedliche Zusammenleben der Kulturen, für die anderen ist es Bevormundung.

So schreibt "Spiegel online": "Die Regeln transportieren Vorurteile. Flüchtlinge sind Diebe, schmutzig und baggern Mädchen an - das bleibt nach der Lektüre hängen."

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"Die Welt" moniert, das mit "Liebe fremde Frau, lieber fremder Mann!" beginnende Schreiben sei voller Anweisungen, "die an Vorgaben für Schüler während einer Klassenfahrt erinnern".

Kein Wunder, dass das Hardheimer Rathaus gestern einem Tollhaus glich: Fernsehteams gaben sich die Klinke in die Hand, das Telefon stand nicht mehr still.

Mediale Aufmerksamkeit für ihre besondere Flüchtlingsproblematik hatte sich die Gemeinde zwar gewünscht. Statt Verständnis für die Nöte einer kleinen ländlichen Kommune, in der jeder fünfte Einwohner plötzlich ein Fremder ist, erntete sie aber Unverständnis und Spott.

Dass die Sorgen der Hardheimer durch den Leitfaden nun ins Lächerliche gezogen werden, wird der Bedeutung des Themas nicht gerecht. Denn seit das Land vor knapp vier Wochen in der örtlichen Bundeswehrkaserne eine Bedarfsorientierte Erstaufnahmeeinrichtung (BEA) für inzwischen 650 Flüchtlinge eröffnet hat, brodelt es in der Gemeinde.

Schließlich beherbergt Hardheim seit 22 Jahren auch noch eine Gemeinschaftsunterkunft des Kreises mit aktuell über 300 Bewohnern.

Die Hardheimer fühlen sich mit ihren Ängsten alleingelassen und befürchten, dass schon bald weitere Blocks der zur Schließung anstehenden Kaserne mit Flüchtlingen belegt werden könnten.

Um dies zu verhindern, wurde eine Unterschriftenaktion gestartet, an der sich in nur einer Woche 2018 Bürger beteiligten. Ob Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sich davon beeinflussen lässt?

"Wir können keine weiteren Flüchtlinge mehr aufnehmen, sonst sehe ich den sozialen Frieden gefährdet", betonte Manfred Böhrer, der für die SPD im Gemeinderat sitzt, am Mittwoch in einer Bürgerversammlung zum Thema "1000 Flüchtlinge sind genug".

Abgeordnete aus Bund und Land standen dabei der Bevölkerung Rede und Antwort. Auch wenn den Hardheimern versichert wurde, dass es derzeit keine Pläne für eine Erweiterung der BEA gebe, so konnte dies Joachim Pampel vom Integrationsministerium für die Zukunft nicht völlig ausschließen.

Eines wurde bei den zahlreichen Wortbeiträgen aus dem Publikum zudem deutlich: Auch wenn man über den Tonfall und einzelne Formulierungen durchaus diskutieren kann, erscheint ein Leitfaden für Flüchtlinge durchaus notwendig, um Regeln für das Zusammenleben in einer solch kleinen Gemeinde aufzustellen, in der sich fast über Nacht das Ortsleben nachhaltig verändert hat.

Im Gespräch mit der RNZ verteidigte Bürgermeister Rohm gestern Nachmittag seinen Leitfaden gegen alle Kritik: "Ich stehe dazu, dass es richtig ist, den Flüchtlingen Verhaltensregeln anzubieten, um mögliche Probleme bereits im Vorfeld auszuschließen, und ich habe dafür heute aus ganz Deutschland auch Zustimmung erhalten."

Das Schriftstück sei auf die speziellen Hardheimer Bedürfnisse zugeschnitten - und es habe im Ort nun einmal Beschwerden über bestimmtes Fehlverhalten von Flüchtlingen gegeben.

Dass der Leitfaden, der den Neuankömmlingen in zehn Sprachen mündlich nähergebracht wird, auf der Homepage der Gemeinde veröffentlicht wurde, sei geschehen, um den Bürgern zu zeigen, dass die Flüchtlinge über die richtigen Verhaltensweisen informiert würden. "Ich bin der festen Meinung, dass wir den Flüchtlingen mit diesen Benimmregeln mehr helfen, als dass wir sie bevormunden", so Rohm.

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