Stadtmission: Erster Tarifvertrag für alle 1500 Beschäftigten
Ist der Abschluss ein Signal für andere kirchliche Einrichtungen in Baden-Württemberg?

Den Tarifvertrag zwischen Stadtmission und Verdi unterzeichneten Uwe Ikinger für die Arbeitgeber und Irene Gölz für die Gewerkschaft (vorn). Foto: Hentschel
Von Micha Hörnle
Erstmals schlossen in Baden-Württemberg eine kirchliche Einrichtung und eine Gewerkschaft einen Tarifvertrag ab. Denn bisher beharrten die Kirchen auf dem sogenannten "Dritten Weg", in dem sie, - wenn auch durch spezielle Gremien, in die Arbeitnehmervertreter gewählt werden konnten - sich ihr eigenes Arbeitsvertragsrecht schufen; das war auch Ausdruck des kirchlichen Selbstverständnisses einer großen Familie.
Nur: So etwas steht im Gegensatz zu den üblichen Formen des Arbeitsrechts, dem nicht ganz unumstrittenen "Ersten Weg" (der Arbeitgeber setzt, wie bei den Beamten, alles allein fest) oder dem gängigen "Zweiten Weg", in der Gewerkschaften die Vertretung der Mitarbeiterinteressen übernehmen und mit dem Arbeitgeber Tarifverträge aushandeln.
Genau darum drehte sich auch der jahrelange Kampf der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, mit dem "Zweiten Weg" aufzuräumen - und das begann gestern gewissermaßen bei der Stadtmission, "ein historischer Moment", wie der Vorstandsvorsitzende der Stadtmission, Uwe Ikinger, sagte.
Nun endlich ist Verdi als Tarifvertragspartner für die 1500 Stadtmission-Beschäftigten in 20 Einrichtungen anerkannt, ab dem 1. Juli gilt bis Ende 2018 ein Tarifvertrag, in dem es für die Beschäftigten leichte Verbesserungen gibt, wie beispielsweise ein flexibles Arbeitszeitkonto, grundsätzlich eine Fünf-Tage-Woche, ein volles 13. Monatsgehalt, Kinderzuschläge, eine Zulage von 20 Prozent, wenn man aus der Freizeit geholt wird und einspringen muss, eine Betriebsrente ohne Eigenanteil, umfassende Qualifizierungsregelungen und eine zusätzliche Gehaltsstufe für langjährige Mitarbeiter.
Wie sehr das die Stadtmission im Jahr belastet, konnte auch ihr Personalleiter Christian Wetzel nicht sagen: "Alles in allem ist das schwer zu kalkulieren. Aber es wird in der Summe für uns nicht preisgünstiger, ist aber gerade noch so vertretbar." Durch den neuen Tarifvertrag nähert sich die Heidelberger Diakonie auch den Verhältnissen im Uniklinikum an: "Beide sind von ihrem Gehaltsniveau her vergleichbar", sagt Irene Gölz von Verdi Baden-Württemberg.
Was auch nicht weiter verwundert, denn Krankenpfleger sind gesucht und haben die freie Auswahl - was mit ein Grund war, dass schon vor dem neuen Tarifvertrag bei der Stadtmission anständig gezahlt wurde. Allerdings können die Bäume nicht in den Himmel wachsen, denn die knapp kalkulierten Fallpauschalen der Krankenkassen - also die Finanzierung der Krankenhäuser - berücksichtigen Tariferhöhungen nicht.
Der Weg zum ersten Tarifvertrag in einer kirchlichen Einrichtung war lang - und nicht ohne: 2007 organisierten sich sechs Stadtmissions-Mitarbeiter - mit dem Ziel, dass Verdi fortan auch die Tarifverhandlungen führt. 2012 erhob die Gewerkschaft diesen Vertretungsanspruch, im Jahr drauf wurde gestreikt - zum ersten Mal überhaupt in der 153-jährigen Geschichte der Stadtmission und gleich drei Tage lang.
Einen unbefristeten Streik wollte sich die Stadtmissionsspitze nicht zumuten und begann mit Gesprächen, die sich über zwei Jahre hinzogen. Auch das war für Ikinger ungewohnt: "Wir waren noch nie in der Position eines Arbeitgebers, der verhandelt - und waren anfangs auch nicht begeistert darüber."
Gestern machten Stadtmissionsvorstand und Verdi-Spitzen den Eindruck, dass alles gar nicht so schlimm war, zumal der neue Tarifvertrag die "diakonische Identität" (Ikinger) beibehält - und daher nicht nur ein reiner "Zweiter Weg" ist.