Literarisches Zentrum Heidelberg: "Erzählen gegen die Verrohung unserer Zeit"

Das "Literarische Zentrum Heidelberg" ist gestartet - Jakob Köllhofer geht ans Grundsätzliche

11.03.2016 UPDATE: 13.03.2016 06:00 Uhr 2 Minuten, 27 Sekunden

Es kommt nicht auf die Namen, sondern auf die Inhalte an. DAI-Chef Jakob Köllhofer begrüßte in der Alten Aula der Universität die Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch (unten links) und empfahl mit ihr das neue "Literarisches Zentrum Heidelberg." Foto: Hentschel

Von Ingrid Thoms-Hoffmann

Jakob Köllhofer hat für sich noch nie in Anspruch genommen, ein bequemer Zeitgenosse zu sein. Dazu ist er viel zu leidenschaftlich, ideenreich und ungeduldig. Seit Jahrzehnten leitet er das Deutsch-Amerikanische Institut (DAI), das jetzt gerade 70. Geburtstag feierte, mit einer Intensität, die seinen Mitarbeitern alles abverlangt. Aber nur so konnte es sich zu d e m herausragenden Kulturzentrum Heidelbergs entwickeln. Das schwebt ihm auch mit dem "Literarischen Zentrum Heidelberg" (LiZ) vor. Völlig unspektakulär wurde es aus der Taufe gehoben. Wird hier doch gebündelt, wofür das DAI schon seit langer Zeit steht: Das Bemühen um Zivilisierung durch Sprache.

Hintergrund

if. Lesungen, Diskussionen, Wettbewerbe, Werkstätten, große Namen, neue Namen, alte Sprachen, neue Sprachen - all das und noch viel mehr macht das "Literarische Zentrum Heidelberg" aus. Am 22. Januar mit Rafik Schami aus der Taufe gehoben, gastiert das LiZ in der ganzen

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if. Lesungen, Diskussionen, Wettbewerbe, Werkstätten, große Namen, neue Namen, alte Sprachen, neue Sprachen - all das und noch viel mehr macht das "Literarische Zentrum Heidelberg" aus. Am 22. Januar mit Rafik Schami aus der Taufe gehoben, gastiert das LiZ in der ganzen Stadt, bevor es in das Mark Twain Zentrum einzieht. Dabei baut das LiZ auf bewährten Einzelprogrammen des DAI auf, hat aber auch eine Reihe von neuen Angeboten geschaffen:

Local Monday - an Montagen treffen sich Literaten, Verleger oder Übersetzer aus der Region, um ihre neuesten Werke vorzustellen. Anfängern wird damit eine Plattform gegeben.

Slow Reading Room - ist eine Reihe, die sich vornehmlich alten, literarischen Texten sehr intensiv widmet. Durchatmen und Nachspüren ist angesagt. Als Nächstes steht Cervantes (22. April) auf dem Programm.

Philosophische Sprache und Texte - heißt eine Sparte, in der namhafte Vertreter ihres Fachs die geistige Landschaft ausloten.

Das Kinder-und Jugendprogramm gehört zum LiZ dazu. Ganz neu: HeimSpiel? - ein regelmäßiges Treffen von Jugendlichen aus aller Welt. Dann gibt es noch "Storytime for Kids" und "Little Bookworm Club".

Weitere Infos im DAI, Sofienstraße 12

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Den Auftrag einer "City of literature" nehmen Köllhofer und seine Mitarbeiter ernst. "Wir wollen die Stadt literarisieren", gibt er sich ganz unbescheiden. Und wenn man sich das Riesenprogramm anschaut, hat man keinen Zweifel daran, dass es gelingen kann, werden doch alle Lebensbereiche durchdrungen, alle Schichten angesprochen, werden Menschen zusammengebracht, die eigentlich gar nicht so recht zusammenpassen - und das alles im Glauben an die Macht der Sprache.

Dass es zwar schon einen konkreten Ort für das LiZ gibt (das Mark Twain Centrum in der Römerstraße 166), der aber noch nicht bespielbar ist, das stört Köllhofer nicht weiter. "Wir gastieren überall in der Stadt". Diese Woche war er mit der Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch in der ausverkauften Alten Aula der Universität. "Diese außergewöhnliche Frau ist ganz auf der Ideallinie mit dem, was das LiZ sich vorgenommen hat", sagt der DAI-Direktor. Und vorgenommen hat er sich, ans Grundsätzliche zu gehen. Die Ukrainerin ist für ihn dabei ein "unersetzlicher Kompass". Oder auch Rafik Schami, dessen orientalische Geschichten die Menschen verzaubern. Auch kürzlich zu Gast im LiZ. Aber mit einem ganz anderen Anspruch: "Bei ihm bin ich mir sicher, dass es zutrifft, dass Erzählen helfen und heilen kann", sagt der Literaturbegeisterte, der gerne Scheherazade aus 1001 Nacht heranzieht, die mit poetischer Sprache aus einem Monster einen mitfühlenden Mann macht. Das ist es, worum es im neuen Zentrum geht: Einer "sprachlichen Zügellosigkeit und Verwahrlosung, die feineren Töne und den differenzierenden Blick der Literatur" entgegenzusetzen.

"Die Globalisierung, die technische und technologische Revolution oder die zunehmende Urbanisierung, lassen Dämme beherrschter Sprache brechen", sagt Köllhofer. Dem will er entgegensteuern mit dem "nachhaltigen Blick der Literatur". Hier sollen keine Schriftsteller "eingekauft" werden, sondern hier sollen sich Menschen begegnen, die einander weiter bringen oder die mit Texten konfrontiert werden, die die Jahrhunderte, oder Jahrtausende überdauert haben.

"Heute schätzt man das Vergängliche", bedauert Köllhofer. Er will aber, dass Dinge zu Ende gedacht werden und ihre Gültigkeit über den Tag hinaus behalten. "Es geht doch nicht um mehr oder weniger bekannte Namen, die nach Heidelberg geholt werden, sondern um die Arbeit, die zu machen ist", so der Kulturschaffende. Und zu machen gibt es einiges. Zwar will er auf Vorhandenem aufbauen, das heißt aber nicht, dass das Spektrum nicht erweitert wird. Und was da alles in den vergangenen Wochen dazu kam, das macht einen fast schwindlig (siehe Kasten unten). Zu einer wahren Kult-Veranstaltung könnte sich dabei der "Slow Reading Room" entwickeln. Hier präsentiert sich der Kanon der Weltliteratur. Mit Lukrez begann es, mit Cervantes geht es weiter. Und wenn über 100 Zuhörer bei der ersten Veranstaltung dabei waren, dann zeigt sich, dass das Bedürfnis offenbar da ist. "Den Kanon der großen Autoren und Werke nicht zu lesen ist zwar möglich, aber nicht sinnvoll", gibt sich Köllhofer überzeugt.

"Sinnvollen Kooperationen" verschließt sich der Mann, der alles am Liebsten gleichzeitig bewerkstelligen würde, nicht. "Wir sind ja überall zu Hause", sagt er lachend und verweist auf die Zusammenarbeit mit Uni, Literaturhäusern oder Heidelberger Buchhandlungen. Köllhofer brennt für die "City of literature" wie eine Kerze an beiden Enden. Jetzt kommen für ihn die weltweiten literarischen Vernetzungen und Beziehungen zum Tragen. Köllhofer: "Endlich dürfen die vielen Pläne und Träume Gegenstand konkreter Arbeit werden". Der Besessene ist nicht aufzuhalten.

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