Özdemir fordert klare Kante gegen Erdogan
Grünen-Spitzenpolitiker trat im Dezernat 16 auf - Diskussionsrunde im "Townhall"-Format - Zuhörer üben auch Kritik an den Grünen

Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir, der auf Einladung von Franziska Brantner nach Heidelberg gekommen war, stellte sich den Fragen der Bürger. Foto: Philipp Rothe
Von Michael Abschlag
An einer Stelle wird Cem Özdemir plötzlich sehr nachdenklich. Wie lange er noch in BKA-Begleitung unterwegs sein müsse, will einer der Gäste wissen. Er sei Bedrohungen schon gewohnt, sagt der grüne Spitzenkandidat - von Rechtsradikalen, von PKK-Anhängern, nun auch von Erdogan-Fans. "Die größeren Probleme haben aber die Kollegen in der Türkei", betont er.
Die grüne Heidelberger Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner hat am Freitagabend den prominenten Parteikollegen zur Gesprächsrunde ins Dezernat 16 in der ehemaligen Feuerwache geladen. Geplant ist ein Gespräch im sogenannten "Townhall"-Format nach amerikanischem Vorbild, eine offene Diskussion zwischen Bürgern und Politikern. Und zu diskutieren gibt es viel: Wie geht es weiter mit der Türkei nach dem Verfassungsreferendum? Wie soll sich Europa angesichts des wachsenden Einflusses von Populisten verhalten? Und mit welchen Themen wollen die Grünen in die Bundestagswahl gehen?
Der Saal im Kreativwirtschaftszentrum ist gut gefüllt, die Atmosphäre locker. Das Publikum ist gemischt, vor allem viele Jüngere sind gekommen. Özdemir erhält viel Applaus - vor allem am Anfang, als es um das Thema Türkei geht. Der Grüne übt scharfe Kritik an Erdogan und nutzt zugleich die Gelegenheit zu einem Seitenhieb gegen die Bundesregierung. Ihr Kurs gegenüber dem türkischen Präsidenten sei "leider nicht klar". Und dass Imame Moscheemitglieder auspionierten, wie vor dem Verfassungsreferendum geschehen, sei "unerträglich". In solchen Fällen müsse der Staat Stärke zeigen: "Da hätte es Wohnungsdurchsuchungen und Anzeigen geben müssen. Es braucht klare Ansagen!"
Es komme aber auch auf bessere Integration an. Vehement fordert Özdemir deshalb auch ein "deutsch-türkisches Arte", damit die in Deutschland lebenden Türken "nicht nur Erdogan-TV zu sehen kriegen".
Özdemir zieht die Verbindung zu anderen autokratischen und nationalistischen Bewegungen; die Antwort könne nur ein vereintes Europa sein. Ob nicht auch die großen Parteien mit schuld seien am Aufstieg der Rechtspopulisten, hakt ein Zuhörer nach. "Ich könnte es mir jetzt einfach machen", sagt Özdemir, "aber ich glaube, der Umgang mit Populisten ist eine Aufgabe für uns alle. Wir müssen die Auseinandersetzung suchen, aber dabei unseren Standpunkt klar machen." Auch dafür gibt es Applaus.
Doch Özdemir muss sich auch deutliche Kritik an den Grünen anhören. "Sie kümmern sich um viele Punkte nicht", klagt eine enttäuschte Zuhörerin. "Warum fordern Sie kein Tempolimit? Warum fördern Sie keine Drei-Liter-Autos? Was tun Sie gegen Plastikmüll?" Fragen, auf die der Grüne nur teilweise konkrete Antworten liefern kann. Immerhin setzte man sich im Bundesrat dafür ein, dass ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos eine Neuzulassung erhalten. Und für das Tempolimit brauche man einen Koalitionspartner, der das unterstütze: "Mich müssen Sie da nicht fragen, tragen Sie das in die öffentliche Debatte!"
Am Ende scheint er das Publikum aber für sich gewonnen zu haben. "Mir haben etwas die grünen Themen gefehlt", sagt einer der Zuhörer. "Aber ansonsten hat er sich nicht schlecht geschlagen."