Nach Heidelberger Amokfahrt

Spendenaktion für eine Hinterbliebene in Not

84-jährige Lebensgefährtin des Toten ist in finanzieller Bedrängnis - Das Opfer hatte sie auch gepflegt

14.04.2017 UPDATE: 15.04.2017 06:00 Uhr 3 Minuten, 34 Sekunden

Kurz nach der Amokfahrt vom 25. Februar zeigten viele Heidelberger ihre Anteilnahme, indem sie Blumen an der Unglücksstelle niederlegten. Nun kann jeder auch mit einer Geldspende der hinterbliebenen Lebensgefährtin des Todesopfers helfen. Foto: Hentschel

Von Micha Hörnle

Die Amokfahrt am Bismarckplatz vor genau sieben Wochen hat nicht nur einen Toten, den 73-jährigen Albert F., und zwei Leichtverletzte gefordert. Sie hat auch unvermittelt die Lebensgefährtin von Albert F. in finanzielle Not gestürzt. Denn in diesem Fall kommen mehrere tragische Umstände zusammen - und die RNZ will nun konkret helfen und den Betroffenen, sozusagen den "unbekannten Opfern" der Amokfahrt, Gesicht und Stimme geben.

Albert F. lebte 43 Jahre mit Rosina L. zusammen - ohne Trauschein. Die Hinterbliebenen beschreiben ihre Verbindung als sehr innig. Rosina L. ist elf Jahre älter als ihr Lebensgefährte und war schon einmal verheiratet, doch ihr Mann starb früh. Für ihre vier Kinder war Albert F. immer ein Vaterersatz, und deren Kinder nannten ihn ganz selbstverständlich "Opa", wie Rosina L.s Enkel Jens Winnes, sozusagen der Sprecher der Familie, der RNZ berichtet.

Das unverheiratete Paar - sie kamen beide aus bescheidenen Verhältnissen - lebte in einer kleinen Kirchheimer Mietwohnung, die vier Kinder waren längst aus dem Haus. Rosina L.s Gesundheit wurde mit den Jahren immer fragiler, kurz vor der Amokfahrt musste sie sich in einem geriatrischen Krankenhaus einer Behandlung mit nachfolgender Reha unterziehen. Albert F. war an jenem Samstagnachmittag vor sieben Wochen auf dem Weg zu ihr ins Krankenhaus, als er auf dem Bismarckplatz von dem Opel angefahren wurde; zwei Stunden später starb er in der Chirurgie. Am Freitag vor sechs Wochen wurde er beerdigt.

Für seine Lebensgefährtin war dieser Verlust furchtbar - zuerst vor allem emotional. Doch schon in den ersten Wochen nach der Amokfahrt wurde klar, dass es allein finanziell für sie kaum möglich sein würde, ein eigenes Leben in ihrer alten Wohnung führen zu können. Ihre Renten hatten immer für beide gelangt, außerdem hatte Albert F. sie gepflegt. Nun muss sie allein von ihrer kleinen Rente für die Wohnung aufkommen, zudem braucht sie einen Pflegedienst, weil sie allein ihren Alltag nicht mehr bewältigen kann. Am Montag vor einer Woche kehrte sie wieder aus der Reha nach Hause zurück. Ihr Enkel Jens Winnes, der in Oberbayern lebt, hält engen Kontakt zu ihr und ihren Kindern. Die räumliche Entfernung macht es ihm am ehesten möglich, das Anliegen der Familie zu kommunizieren, denn die unmittelbaren Angehörigen sind noch mitten in ihrer Trauerarbeit. Winnes sagt: "Sie ist froh, wieder daheim zu sein, ihre Kinder sind bei ihr. Doch der Opa fehlt ihr sehr. Immer wieder überkommt sie eine große Trauer."

Mittlerweile tat sich finanziell eine erhebliche Lücke aus ihren Einnahmen (Rente und Pflegegeld) und den Ausgaben (Miete und Pflegekraft) auf, Winnes beziffert sie auf mindestens 1000 Euro im Monat. Und da das Paar nicht verheiratet war, hat Rosina L. auch keinen Anspruch auf eine Witwenrente. Leistungen aus dem Opferentschädigungsgesetz greifen auch nicht, weil die Tatwaffe ein Auto war - diese schlimme Erfahrung mussten bereits die Hinterbliebenen des Anschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt machen. Vermögend ist niemand der Hinterbliebenen, die Deckungslücke können die drei Töchter und ein Sohn kaum aus eigener Kraft aufbringen: "Da gibt es niemanden mit großen Ersparnissen", berichtet Winnes.

Hintergrund

> Der Ernst-Körner-Fonds ist benannt nach einem Dielheimer, der im Dezember 1996 bei Bauarbeiten an seinem Wohnhaus auf tragische Weise verschüttet und tödlich verletzt wurde. Er hinterließ eine Ehefrau und vier minderjährige Kinder. Durch einen Verwandten

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> Der Ernst-Körner-Fonds ist benannt nach einem Dielheimer, der im Dezember 1996 bei Bauarbeiten an seinem Wohnhaus auf tragische Weise verschüttet und tödlich verletzt wurde. Er hinterließ eine Ehefrau und vier minderjährige Kinder. Durch einen Verwandten wurde eine Spendenaktion ins Leben gerufen, um der Familie des Verstorbenen vor allem dabei zu helfen, dass sie im Haus bleiben kann und die Kinder einen guten Start ins Berufsleben bekommen. Mittlerweile sind die Kinder groß und stehen alle im Beruf. Deshalb wurde der Fonds prinzipiell für Bürger, die in Not geraten sind, geöffnet. Das gilt auch für den Fall der Hinterbliebenen der Heidelberger Amokfahrt. Verwalter des Fonds ist die Gemeinde Dielheim, namentlich Bürgermeister Hans-Dieter Weis. Er kündigte an, dass im Einvernehmen mit der Familie Körner und den Treuhändern des Fonds aus den noch vorhandenen Mitteln 10.000 Euro zur Verfügung gestellt werden können.

Die Kontoverbindung des Ernst-Körner-Fonds: Gemeinde Dielheim, IBAN DE 79.6725.0020.0059 9000 64 (Sparkasse Heidelberg), bitte Verwendungszweck "Amokfahrt" angeben. Auf Wunsch werden Spendenbescheinigungen erstellt. Bei Beträgen bis 200 Euro reicht dem Finanzamt der Einzahlungs- oder Überweisungsbeleg. hö

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Natürlich hat die Familie Kontakt zur Opferschutzorganisation "Weißer Ring" aufgenommen. Es gibt auch eine erste finanzielle Überbrückung für die Pflegekraft, die ab 1. Mai in die Wohnung kommen soll. Silvio Käsler, der Leiter der Heidelberger Außenstelle des Weißen Rings, hatte auch die Idee eines Spendenkontos, das nun im Rahmen des "Ernst-Körner-Fonds" eingerichtet ist. So kann die Familie unbürokratisch die Kosten, die aus der neuen Situation entstanden sind, decken. Und vor allem soll es sicherstellen, dass Rosina L. möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben in ihrer alten Wohnung, in der sie seit über 60 Jahren lebt, führen kann. Denn, so Winnes: "Ein Pflegeheim wäre für sie in ihrer Situation keine Alternative."

Käsler sagte der RNZ: "Der Weiße Ring betreut die hinterbliebene Lebensgefährtin in ihrer Not und steht ihr in jeder Hinsicht bei. Der schmerzliche Verlust des geliebten Mannes ist schwer zu verkraften und stellt das Leben von Frau L. auch sonst völlig auf den Kopf. Bei der Bewältigung der Tatfolgen zu helfen, ist sicher vielen Mitmenschen ein Bedürfnis. Auch der Weiße Ring sucht die finanzielle Bedrängnis, die sich aus dem Ereignis ergeben hat, zu lindern. Eine erste Beihilfe in Höhe von 3000 Euro konnte bereits ausgezahlt werden. Ich bin überzeugt, dass die Unterstützung des Spendenaufrufs in der Bevölkerung groß sein wird."

Einen weiteren Grundstock will die RNZ mit einem Beitrag von 2000 Euro aus ihrer Weihnachtsaktion legen. Auch Oberbürgermeister Eckart Würzner unterstützt die Aktion mit 500 Euro aus seinen eigenen Verfügungsmitteln. Er sagte der RNZ: "Die Angehörigen des Opfers haben mein größtes Mitgefühl. Es ist mir persönlich ein großes Anliegen, die Spendenaktion zu unterstützen. Sie ist nicht nur eine finanzielle Hilfe für die Angehörigen. Sie ist darüber hinaus auch ein ganz wichtiges Zeichen: Wir in Heidelberg denken zuvorderst an das Opfer und seine Angehörigen. Sie sind die Leidtragenden des schrecklichen Vorfalls am Bismarckplatz. Es gab unmittelbar nach dem Ereignis eine vollkommen unwürdige Diskussion und Hetze in den sozialen Medien. Da waren Hetzer am Werk, die offensichtlich keine Sekunde an das Leid der Opfer dachten. Es freut mich, dass wir in Heidelberg mit dieser Aktion ganz anders, nämlich im Sinne der Mitmenschlichkeit, agieren."

Die RNZ konnte sich eingehend, auch anhand von Kontobelegen, von der finanziellen Situation der 84-jährigen Rosina L. überzeugen - dabei war die Familie sehr kooperativ: Hier liegt ein tatsächlicher Notfall vor, für den gesetzliche Regelungen kaum Hilfe vorsehen. Nun ist der finanzielle Beitrag der Bürgerschaft gefragt.

Info: Spenden bitte an die Gemeinde Dielheim (Ernst-Körner-Fonds), IBAN DE 79.6725.0020.0059 9000 64 (Sparkasse Heidelberg), Verwendungszweck "Amokfahrt" angeben.

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