Helga B. hat fünf Jahre auf der Straße gelebt

Obdachlosigkeit, Alkohol und Schulden: Wie das Diakonische Werk Eberbach einer Frau zurück ins Leben hilft

07.12.2016 UPDATE: 08.12.2016 06:00 Uhr 3 Minuten, 32 Sekunden

Sabine Rösler, Sozialarbeiterin im Diakonischen Werk, im Gespräch mit ihrer Klientin Helga B. (Bild bearbeitet). Es geht noch um letzte Absprachen für einen Vergleich. Seit acht Jahren ist Helga B. mit dem Diakonischen Werk in Kontakt. Foto: Martina Birkelbach

Von Martina Birkelbach

Eberbach. "Obdachlosigkeit kann jeden treffen. Ärzte, Doktoren, Professoren...Leute, von denen man es nie erwartet. Es kann ganz schnell gehen. Meist stecken Trennungen, Scheidungen oder Probleme im Beruf dahinter", erzählt Helga B. (Name von der Redaktion geändert).

Helga B. war obdachlos. Fünf Jahre, von 2000 bis 2005, hat sie auf der Straße gelebt. War in ganz Deutschland unterwegs, meist gemeinsam mit ihrem heutigen Ehemann und anderen, denen es so ging wie ihr. Sie hat in Obdachlosenheimen geschlafen, unter Brücken, vor Sparkassen oder in Bahnhöfen. Alkohol war ihr ständiger Begleiter. Auch Hund Timmy war lange Zeit dabei. "Den habe ich draußen in der Kälte gefunden, ohne Fell. Er war in einem schlechten Zustand, hatte ein gebrochenes Pfötchen. Ich habe ihn aufgepäppelt."

Helga B. lebt heute in Eberbach von Leistungen nach dem SGB II (sog. "Hartz IV"). Was für jeden von uns selbstverständlich scheint, war es für Helga B. lange Zeit nicht: ein eigenes Dach über dem Kopf. Zusammen mit ihrem Partner, der wie sie obdachlos war, fand sie durch glückliche Umstände schließlich eine Wohnung. Das Diakonische Werk unterstützt sie seither bei allen nötigen Anträgen, informiert über sozialrechtliche Ansprüche und prüft die Bescheide.

Jetzt, wo das alles rund läuft und die Existenzgrundlagen gesichert sind, steht noch die Schuldenregulierung auf dem Plan, eine letzte Altlast aus dem früheren Leben.

"Ohne das Diakonische Werk hätte ich das alles nicht geschafft", sagt Helga B. "Ich komme seit acht Jahren hierher. Hier gibt man mir Mut zum Weitermachen." Derzeit bereitet Rösler für den dritten und letzten Gläubiger einen Vergleich vor.

Anfang der 90er Jahre hat Helga B. in den neuen Bundesländern eine vielversprechende Lehre begonnen. Kurz vor dem Abschluss hatte sie einen schweren Unfall. "Ich musste die Lehre abbrechen, bin in falsche Kreise geraten, habe Alkohol getrunken - und irgendwann war mir alles egal." Zwei Jahre hat sie gebraucht, um sich wieder hochzurappeln. Sie startete verschiedene Minijobs und ABM-Stellen. Bis zum Jahr 2000. Da ging die Beziehung zu ihrem Freund in die Brüche.

"Mit einem Kumpel landete ich in Eberbach. Anfangs bekam ich noch Arbeitslosenhilfe, die ist dann erloschen. Ich lebte auf der Straße." In Eberbach kam sie manchmal im damaligen Obdachlosenheim in der Brückenstraße unter; später in der Neckarstraße. Sie tingelte durch ganz Deutschland. "Früher gab es mehr Anlaufstellen, heute gibt’s die nur noch in größeren Städten, Heidelberg und Weinheim wären von hier jetzt die nächsten." Die meisten ihrer Schicksalsgenossen waren Männer, aber es waren auch Frauen dabei. "Die fünf Jahre haben mich geprägt. Ich habe so viele Schicksale miterlebt", sagt sie. 18 D-Mark, später neun Euro, betrug der Tagessatz für Obdachlose. Das Geld holte sie im Eberbacher Rathaus ab; zusätzlich hat sie gebettelt. Für die Behandlungen des Hundes fand sie immer einen Tierarzt, der das umsonst tat - Timmy war ihr wichtig.

Die Obdachlosenheime öffneten meist erst abends die Pforten. Fünf Jahre Kälte und Nässe: 2005 erkrankte Helga B. an einer schweren Lungenentzündung. Diese führte wahrscheinlich zu dem Rheuma, an dem sie heute noch leidet. Ihr Ehemann (seit 2011) fand in Eberbach eine Wohnung. Die beiden zogen zusammen und leben seither von Hartz IV. Doch kaum war die Adresse bekannt, flatterten die Rechnungen ins Haus. Rechnungen aus den 90er Jahren. Helga B. hatte damals etwas bei Versandhäusern bestellt, die Rechnungen aber nie vollständig bezahlen können.

Von den drei Forderungen hat Frau B. zwei bereits durch zum Teil jahrelange Ratenzahlungen erledigt. Rösler erklärt: "Die ohnehin geringen Regelsätze des Arbeitslosengelds II lassen eigentlich Ratenzahlungen nicht zu. Die Beträge sind so eng bemessen, dass es grade zum Leben reicht, aber schon wenn die Waschmaschine kaputt geht oder der Hund zum Tierarzt muss, haben die Menschen ein echtes Problem". Trotzdem knapste sich Helga B. die monatlichen Raten ab, auch wenn ein Großteil davon allein für die Zinsen und Kosten der Inkassobüros draufging.

Für den dritten Gläubiger regelt Rösler gerade einen Vergleich. "Da sind aus 350 Euro inzwischen über 800 Euro geworden", so die Sozialarbeiterin. Das Diakonische Werk springt in bestimmten Fällen auch mal ein und unterstützt mit einem Gutschein oder einer kleinen Beihilfe. "Wir versuchen natürlich, unbürokratisch und schnell zu helfen, aber wir lassen uns auch Nachweise vorlegen. Schließlich sind wir das unseren Spendern schuldig", so die Sozialarbeiterin.

Ein großes Problem stellen auch die Wohnungskosten dar. Es werden nur die angemessenen Mietkosten übernommen. "Und die sind arg nach unten gedeckelt, so dass es diese Wohnungen eigentlich kaum noch gibt. Und wenn, dann hat es oft auch einen Grund, warum sie so billig sind: Nachtspeicherheizung, schlechte Isolierung, Schimmel, dezentrale Lage, etc."

Helga B. hat ihre Wohnungseinrichtung ausschließlich aus Sperrmüll zusammengetragen. Aber sie ist froh, jetzt überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben. Sie ist stolz, das geschafft zu haben. "Und dazu hat das Diakonische Werk mit beigetragen." Helga B. kauft nur Angebote. Irgendwelche Extras sind nicht drin. Nach Timmys Tod hat sie inzwischen einen neuen Hund, den sie über alles liebt und für den sie sorgt. Arbeiten kann sie wegen des schweren Rheumas nicht.

"Die fünf Jahre auf der Straße kann ich nicht aus meinem Leben streichen. Ich habe viel nachgedacht, wie schnell alles gehen kann. Und darüber, wie viele Vorurteile es doch den Obdachlosen gegenüber gibt." Ihre Wünsche zu Weihnachten? "Gesundheit".

Info: Wer Helga B. oder andere Klienten des Diakonischen Werks mit einer Spende zu Weihnachten eine Freude machen will, kann sich beim Diakonischen Werk Eberbach unter Telefon (0 62 71) 92 64 0 melden. Geldspenden gehen ohne Abzug direkt an die Klienten:

Diakonisches Werk Eberbach
Sparkasse Neckartal-Odenwald
IBAN: DE 58 6745 0048 0001 0058 18
BIC: SOLADES1MOS

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