Bilder, die bleiben

Für viele Beteiligte war die Tragödie ein prägendes Erlebnis. Wir haben nachgefragt, wie sie den 22. Dezember 1991 erlebt haben.

15.12.2016 UPDATE: 15.12.2016 06:00 Uhr 3 Minuten, 19 Sekunden
Bilder, die bleiben

Heute ist die Absturzstelle mit dünnen Bäumchen bewachsen. Seit knapp drei Jahren erinnert ein Denkmal aus Sandstein an die 28 Opfer. Foto: Philipp Rothe

Von Denis Schnur

Für viele Beteiligte war die Tragödie ein prägendes Erlebnis. Wir haben nachgefragt, wie sie den 22. Dezember 1991 erlebt haben.

Peter Walden

"Als hätten die Toten geschlafen"

Pilot Peter Walden half als Luftfahrt-Experte an der Unfallstelle

"Es hat furchtbar geregnet", erinnert sich Peter Walden noch genau. Der ehemalige Lufthansa-Kapitän hat sein Leben lang in Handschuhsheim gewohnt. Als er am 22. Dezember 1991 morgens im Radio von dem Absturz hörte, hat er sich sofort auf den Weg gemacht - "das war ja direkt vor meiner Haustür". Die Polizei empfing ihn schon im Siebenmühlental. Er bot den Beamten seine Hilfe an - "die waren froh, dass ein Spezialist kam. Die hatten ja gar keine Ahnung, wo das Flugzeug herkam oder was sie machen sollten."

Keine Stunde war nach dem Absturz vergangen, als der Pilot den Gipfel erreichte, Wrackteile und Leichen lagen noch immer auf dem Berg verstreut, dennoch schien alles friedlich: "Es war total leise. Nichts hat gebrannt. Es war, als hätten die Toten geschlafen". Ein Bild, das sich Walden ins Gedächtnis brannte - zumal er in 40 Jahren Pilotentätigkeit nicht einen Absturz miterlebt hat. Und trotzdem wusste der Handschuhsheimer sofort, was zu tun war: "Ich habe zuerst das Bordbuch aus dem Regen gerettet und die Karten aus dem Cockpit zusammengesucht". Zudem übernahm der Kapitän die Regie bei der Sicherung: "Da war ja alles voller Matsch. Ich hab gerufen: ,Mensch, lauft nicht alle durch die Trümmer! Macht die Absperrung und wartet bis das Luftfahrtbundesamt hier ankommt.‘"

 

Beate Weber-Schuerholz

"Da sackt einem das Herz ab"

OB Beate Weber-Schuerholz war tief berührt

Als "ganz schreckliche Erfahrung", bezeichnet Beate Weber-Schuerholz den Absturz heute, auch wenn die damalige Oberbürgermeisterin Heidelbergs selbst nicht zur Absturzstelle hoch ist. "Ich war noch neu im Amt und mein Stellvertreter Karl Korz ist sofort hin." Sie selbst solle nicht hoch, habe er ihr geraten. Beschäftigt hat sie die Tragödie trotzdem: "Das war besonders dramatisch, wenn man weiß, dass da lauter junge Leute dabei waren, die bester Laune waren."

Als dann drei Jahre später ein Flugzeug auf dem Königsstuhl abstürzte, holte der Hohe Nistler die Oberbürgermeisterin ein: "Ich hatte mich furchtbar gefühlt, dass ich damals nicht hin bin." Deshalb ist sie diesmal gleich zur Absturzstelle: "Das sind Bilder, die vergisst man natürlich nicht", erinnert sie sich, "ich hatte davor nicht mal einen Unfall gesehen. Da sackt einem das Herz doch ziemlich weit ab."

Als Mensch habe sie aus den Unglücken mitgenommen, "dass das Leben endlich ist". Als Bürgermeisterin hat sie den Blick auf die Helfer gerichtet: "Ich habe gesehen, was die vermeintlich starken Männer – damals waren es tatsächlich fast nur Männer – erleben müssen." Daraufhin habe sie die Einrichtung einer psychosozialen Beratung für Notfallversorger in die Wege geleitet.

 

Erich Lindenthal

"Keine Freude an Weihnachten"

Polizist Erich Lindenthal meldete sich sofort zum Dienst

Eigentlich hatte Erich Lindenthal am 22. Dezember 1991 frei. Mit seiner Familie wollte der Leiter des Einsatzzuges der Heidelberger Polizei den Sonntag auf dem Weihnachtsmarkt verbringen. "Aber schon auf der Autobahn habe ich im Radio von dem Absturz gehört." Also stieg Lindenthal am Revier aus. Gegen 15 Uhr sei er mit seinem Team auf an der Unglücksstelle angekommen, wo sich ein grausiger Anblick bot: "Die Leichen lagen breit verstreut. Das habe ich so nie gesehen." Die ganze Nacht blieben Lindenthal und sein Team vor Ort, sicherten die Absturzstelle, hielten Schaulustige fern. "Für mich war das eine der kältesten Nächte, die ich je erlebt habe."

Aber auch danach ließ dieser Arbeitstag den Polizisten nicht los: "Ich habe die Bilder an den Weihnachtstagen immer wieder wie einen Film vor meinen Augen gehabt, habe immer wieder Leichenteile gesehen", so Lindenthal – gelegentlich passiere das auch heute noch. "Später hat sich gezeigt, dass es vielen Kollegen ähnlich ging. Keiner hatte richtig Freude an Weihnachten." Der Polizist, der in zwei Wochen als Eberbacher Revierleiter in Ruhestand geht, hat zudem seit diesem Tag kein Flugzeug mehr betreten. "Ich hatte vorher schon wenig Interesse daran, aber die Eindrücke vom Hohen Nistler haben mir die Lust am Fliegen endgültig vergällt."

 

Michael Käflein

"Es gab einen richtigen Sog"

Michael Käflein fuhr mit dem Taxi zum Nistler

"Fahren Sie mich zum Hohen Nistler" – Michael Käflein staunte 1991 nicht schlecht, als gleich mehrere Fahrgäste am Tag des Absturzes und auch danach mit dieser Bitte zu ihm ins Taxi stiegen. "Es gab einen richtigen Sog", erinnert sich der heutige Geschäftsführende Vorstand der Heidelberger Taxizentrale. Er selbst sei zwei- bis dreimal hochgefahren – "das heißt die Mühltalstraße hoch, so weit es ging", erinnert er sich. Über Funk habe er mitbekommen, dass an dem Tag "bestimmt 50, 60 Fahrgäste" da hoch wollten. "Es war kein Massen-Run, aber merkbar."

Diese Schaulust war nichts Neues, dass die Neugierigen ins Taxi steigen, hatte Käflein so aber noch nicht erlebt: "Die Leute wussten, dass sie mit dem Auto nicht hochkommen und dachten: Der Taxifahrer findet einen Weg." Was für Menschen hochwollten, kann Käflein nicht mehr sagen: "Das ist wie mit denen, die beim Unfall gaffen. Da war alles dabei."

Die Polizei fand das Treiben nicht lustig und sperrte weiträumig die Straßen ab. Wer seine Sensationslust befriedigen wollte, musste zu Fuß oder mit dem Rad den Berg hoch – doch auch das schreckte viele nicht ab, wie der Heidelberger Herkules erbost feststellte: "Selbst an Heiligabend und am ersten Weihnachtsfeiertag wanderten die Leute in die Höhe."

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