Sind Fotografien objektiv oder nicht? - Ausstellung in Heidelberg

Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) initiierten Ausstellungsreihe "with / against the flow. Zeitgenössische fotografische Interventionen" im Heidelberger Kunstverein

23.06.2016 UPDATE: 24.06.2016 06:00 Uhr 1 Minute, 49 Sekunden

Die Vorlage für Michael Schäfers Fotografie "Vorbild für Verdächtige" (2005) war eine im "Focus" erschienene Aufnahme von einem Deutsch-Syrer, der nach 9/11 unter Terrorverdacht stand und in Karlsruhe exemplarisch erfolgreich sein Bleiberecht erstritt. Foto: Rothe

Von Julia Behrens

Heidelberg. Ein Araber steht mit versteinerter Miene in einem Fenster. Neben ihm eine sehr deutsche Gardine, vor ihm eine Reihe grüner Blattpflanzen und Kakteen. "Vorbild für Verdächtige" heißt die großformatige Fotografie von Michael Schäfer. Diese Arbeit ist jetzt beim Auftakt einer neuen, vom Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) initiierten Ausstellungsreihe "with / against the flow. Zeitgenössische fotografische Interventionen" im Heidelberger Kunstverein zu sehen.

Darin demonstrieren Viktoria Binschtok und Michael Schäfer auf bemerkenswerte Art, wie sich die vermeintlich objektive Dokumentationsfunktion von Fotografie durch gezielte Eingriffe verändern und entlarven lässt. Nach der Premiere in Deutschland wird die Schau für mehrere Jahre im Ausland auf Tour gehen und beispielsweise in Georgien und Russland Station machen. Kuratiert wurde sie von Florian Ebner und Christin Müller, die zusammen mit einem Team für das diesjährige Fotofestival in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg verantwortlich zeichnen.

Michael Schäfer, der seit 2013 an der Universität der Künste Berlin lehrt, stellt in seiner Serie "Pressebilder" vordergründig informatives Nachrichtenmaterial komplett nach und entreißt es in Form eines neu definierten "Historienbildes" dem Vergessen. Einen Schritt weiter geht Schäfer in seiner Reihe "Vorbilder", in der er die Köpfe von Politikern und Wirtschaftsvertretern auf grobkörnig vergrößerten Agenturfotos mit exakt ausgeleuchteten Gesichtern von Schauspielern überblendet. Das hat einen irritierenden Effekt: Trotz der markanten Physiognomien der Ersatzprotagonisten glaubt man einige Prominente zu erkennen und realisiert dabei, wie stark die "Rezeption" öffentlicher Personen von deren Mimik und Gestik abhängt.

Besonders gut greift die Verschränkung von Fiktion und Wirklichkeit auch in Michael Schäfers neuester Serie "Invasive Links". Hier montiert er selbst geschossene Fotos von Laiendarstellern in unscharf vergrößerte Screenshots von privat gedrehten Videos aus Kriegsgebieten. Auf diese Weise findet sich ein bleicher, westlicher "Hipster" in Badeshorts plötzlich zwischen Soldaten in einem Kampfgebiet in Syrien wieder.

Die aus Russland stammende und heute in Berlin lebende Fotokünstlerin Viktoria Binschtok hat ebenfalls beeindruckend individuelle Verfahren entwickelt, um angesichts der medialen Bilderflut neue Schnittstellen im komplexen Gefüge der Fotografie aufzuzeigen. Für ihre Serie "Clusters" speist sie selbst aufgenommene Motive in eine Bildersuchmaschine im Internet ein und collagiert die Ergebnisse mit dem Original.

In ihrer Reihe "World of Details" geht die Künstlerin umgekehrt vor: Diesmal nimmt sie von Google Street View eingefangene Bilder für eine Recherche bestimmter Orte in New York zum Ausgangspunkt und hält die gleichen Ecken dann analog mit der Kamera fest. In der Schau stellt sie den anonymen, grauen Rundumbildern des Internets die eigenen Abzüge gegenüber.

"Three People on the Phone" heißt der dritte Werkzyklus, der von Binschtok in Heidelberg zu sehen ist. Auf Schwarz-Weiß-Siebdrucken kommunizieren meist junge Asiaten übers Handy. Diese Bilder aus Tokyo schlagen im Kunstverein eine inhaltliche Brücke zu der separaten Studio-Ausstellung "Beyond Documentation" aus der Reihe "Sharing is Caring" zum Thema Fukushima.

Info: Viktoria Binschtok / Michael Schäfer: with / against the flow. Bis 28. August. Heidelberger Kunstverein, Hauptstraße 97, www.hdkv.de.

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