Sammlung Prinzhorn zeigt Zeichnungen des Präparators Erich Spiessbach

Die Blätter des "querulierenden Paranoiker" spiegeln den spezifischen Humor des Anstaltsinsassen

22.09.2016 UPDATE: 23.09.2016 06:00 Uhr 2 Minuten

Erich Spiessbachs Zeichnung "Alles ist möglich, das Dümmste aber am wahrscheinlichsten" von 1952. Foto: Stefan in der Beeck

Von Heide Seele

Wieder ein Schicksal, das vor dem Vergessenwerden bewahrt und ins Licht gerückt wird, und - wie es bei den Veranstaltungen der Sammlung Prinzhorn Brauch ist - einen einst als "Idiot" abgewerteten Patienten als Mensch vorstellt, der aufmerksame Beachtung verdient. Erich Spiessbach (1901-1956), der durch einen offenbar originellen Humor auf sich aufmerksam machte, hatte zunächst als Präparator und Grabungshelfer im Museum auf Schloss Friedenstein in seiner Geburtsstadt Gotha gearbeitet, dann in Münster für Grabungsberichte gezeichnet und Fundstücke restauriert.

Seine oft ins Sarkastische ausdriftende Wesensart wird in den 20 Blättern augenfällig, die zur Zeit die Sammlung Prinzhorn in Heidelberg zeigt, eine Auswahl aus ihrem Besitz von rund 300 Zeichnungen. Spiessbachs Überlegenheitsgefühl gegenüber seinen Mitmenschen hatte zu jahrelangen Gerichtsverfahren geführt. Doch die Gutachten über seinen Geisteszustand tat er als "Idiotendiplome" ab, so dass er 1943 als "querulierender Paranoiker" in die psychiatrische Anstalt Münster eingeliefert wurde. Sein weiterer Lebensweg war durch Tuberkulose und Gefängnisaufenthalte bestimmt.

Der junge Arzt und Psychiater Manfred in der Beeck (1901-1956), der sein künstlerisches Talent wie auch seinen Humor entdeckt hatte, verlegte ihn in Marsberg in eine Einzelzelle, besorgte ihm Zeichenmaterial und animierte ihn, ein Zitat aus der Frankfurter Zeitung zu illustrieren: "Alles ist möglich, das Dümmste aber am wahrscheinlichsten". Es folgten unzählige kleine Zeichnungen, in denen sich der Patient über Dummheit und Bosheit der anderen mokierte. Als Spiessbach zurück in den Osten Deutschlands wollte und er aus seinem Fenster diesbezügliche Spruchbänder gehängt hatte, wurde er gebremst. Er hörte darauf mit dem Zeichnen auf, stürzte 1956 bei einem Fluchtversuch ab und starb am selben Tag.

Die in der aktuellen Präsentation gezeigten Blätter von Erich Spiessbach spiegeln den spezifischen Humor des Anstaltsinsassen, der sich vielleicht selbst am Schopf aus dem Sumpf ziehen wollte. Er schuf schrille, auch gespenstisch anmutende Darstellungen wie zum Beispiel eine "Holzkopfprothese" oder "Die falsche Schlange" mit einer offenbar klatschsüchtigen Frau.

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2012-2014 waren seine Bilder in der Ausstellung "Der dreifach diplomierte Idiot - das Phänomen Erich Spiessbach" in Gotha, Münster und Bremen ausgestellt worden. 2015 kamen sie als Dauerleihgabe in die Sammlung Prinzhorn, die zur Zeit mit den Besitzern über den möglichen Erwerb diskutiert. Thomas Röske vertraut dabei auch auf die Hilfe von Sponsoren.

Im Kabinett der Kollektion in der Heidelberger Voßstraße ist jetzt ein relativ kleiner Ausschnitt zu sehen, der Spiessbachs eigenwillige Weltsicht und seine skurrilen Vorstellungen, umgesetzt in seine originäre zeichenhafte Bildsprache, dokumentiert. Er verstand es zum Beispiel, in seinen Porträts das Spezifische hervorzuheben, etwa den "Wahnsinn" in den erschreckt aufgerissenen Augen einer Frau. Der über lange Psychatrieerfahrungen verfügende Patient steckte voller Aggressionen gegenüber der Justiz. Auch dies lässt sich in seinen Darstellungen ablesen. Die sind in der Heidelberger Sammlung gut untergebracht und verdienen entsprechende Beachtung.

500 Werke von Spiessbach waren nach dem Tod des Psychiaters Manfred in der Beeck in dessen Nachlass entdeckt worden. Die will jetzt die Sammlung Prinzhorn mit der Hilfe von Sponsoren erwerben. Die gegenwärtig gezeigten Arbeiten mit Darstellungen wie "Justitia", "Die heilige Dummheit" oder einem originellen "Leerbuch" schüren die Neugier auf mehr und bieten einen guten Einstieg in Spiessbachs Gedankenwelt.

Info: Kabinettausstellung in der Sammlung Prinzhorn, Voßstraße 2, in Heidelberg läuft bis 15. Januar.

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