Fotofestival: Ai Weiwei ist in Mannheim dabei

Ai Weiwei ist der prominenteste Teilnehmer: In Mannheim mischen drei Institutionen beim sechsten Fotofestival der Region mit

25.09.2015 UPDATE: 26.09.2015 06:00 Uhr 2 Minuten, 48 Sekunden

Wer landet den besten Coup? Momentaufnahme von der Londoner Metall-Börse, aufgenommen von Polly Braden - zu sehen in der Mannheimer Kunsthalle, die sich dem Foto-Thema "Gier nach Geld" stellt. Repro: RNZ

Von Milan Chlumsky

Wenn die historischen Teile einer Stadt spurlos verschwinden, ist es um das kulturelle Gedächtnis geschehen. Ai Weiwei, der prominenteste unter den zeitgenössischen chinesischen Künstlern, hat zwischen 2002 und 2008 mit einer hochauflösenden Kamera "Provisorischen Landschaften" festgehalten, sprich: alte Viertel, die in zahlreichen chinesischen Großstädten planiert wurden, an deren Stelle aber noch nichts gebaut wurde. Gelegentlich sieht man die emporwachsenden Hochhäuser und Türme, doch das, was unmittelbar vor seiner Kamera steht, ist Brachland. Seine Bilder sind jetzt in Mannheim im Rahmen des sechsten Fotofestivals der Region zu sehen.

Im Fernen Osten werden kulturelle Denkmäler auf ganz andere Weise als bei uns verehrt. So haben etwa die Japaner kein Problem damit, bei Tempeln ganze Teile durch neues Material zu ersetzen. Doch keine dieser Kulturen ist so radikal in der Beseitigung historischer Substanz wie China. Ai Weiwei zeigt durch die schiere Menge seiner Aufnahmen, wie eine Einöde entsteht.

In der Mannheimer Galerie Zephyr ist dem Kurator Urs Stahel mit der Sektion "Urbanism & Real Estate" einer der interessantesten Beiträge des diesjährigen Festivals gelungen. Der zweite, ebenfalls sehr einprägsame Beitrag des palästinensischen Fotografen Taysir Batniji orientiert sich an der Schaufensterpräsentation der Immobilienmakler, die ihre Verkaufsangebote anpreisen. Was Batniji zeigt, sind zwar genauso so ausführliche Beschreibungen in derselben Optik, doch von der israelischen Luftwaffe, die diese Bauten dem Erdboden gleichgemacht hat: 170 Meter vom Strand entfernt, vier Appartements mit 150 Quadratmeter Fläche mit Blick aufs Meer, Platz für 22 Personen. Das war es einst.

Der 1965 im Jemen geborene Nick Waplington verbrachte ein Jahr unter den Siedlern der besetzten Gebiete in der West Bank und wurde Zeuge davon, wie Architektur als Waffe eingesetzt wird, indem einzelne Häuser so gebaut werden, dass sie im einstigen palästinensischen Landabschnitten die Eroberung weiterer - meist bäuerlicher - Gebiete ermöglichen.

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Die Schweizerin Laurence Bonvins drehte in Kapstadt eine Sequenz über die neu gebauten "Homes" - Wellblechbaracken in Townships außerhalb der Stadt, wohin Bewohner aus Anlass der Fußballweltmeisterschaft 2010 in Südafrika umgesiedelt wurden. Es sollte ein Provisorium sein und wurde zur dauerhaften Behausung. In den Townships hinter dem Tafelberg kämpfen heute mehr als 3,5 Millionen Menschen mit diesen Lebensbedingungen.

Und schließlich liegt in der Galerie Zephyr der Duft eines Schwarzweiß-Labors in der Luft. Der japanische Fotograf Hiroko Komatso hat aus den endlosen Bahnen des zur industriellen Bearbeitung bestimmten Fotopapiers einen begehbaren Tempel gebaut, so dass die Besucher die Schnipsel der Bau- und Konstruktionsmaterialien sehen können. Der Sinn liegt eben in der Möglichkeit, diese Architektur, die nach Entwickler und Fixiersalz riecht, zu durchqueren und somit ein wenig von der Vergangenheit der analogen Fotografie zu erahnen.

Die Mannheimer Kunsthalle widmet sich dem Thema "Geld und Gier" und ist womöglich jener Teil des Festivals, wo der Besucher am wenigsten überrascht wird - von Videos und von der Fotografie. Die österreichische Künstlergruppe G.R.A.M. stellt einige Szenen aus Martin Scorseses "The Wolf of Wall Street" nach. Scorsese nahm sich der Ära von Dominique Strauss-Kahn an, der nach einem Sex-Skandal abdanken musste.

Die in Schottland geborene Polly Braden fotografierte zwischen 2006 und 2015 in dem Londoner "Money District", der nach dem Rhythmus des Geldes pulsiert. Der Holländer Paolo Woods bestätigt mit der Italienerin Gabriele Galimberti in ihrer Serie "Die Himmel, Jahresbericht" die alte These, dass Menschen, die viel Geld besitzen, noch mehr möchten, und verdeutlicht, dass die Angst, alles zu verlieren, der mächtigste Antriebsfaktor ist.

Demgegenüber zeigt der in Prag geborene griechischstämmige Künstler Stefanos Tsivopoulus in drei Videosequenzen den Gegensatz zwischen Reich und Arm auf eine sehr eindringliche Weise. Dieser Teil des Festivals bestätigt, was viele schon geahnt haben oder wissen: Rund die Hälfte des Gesamtvermögens dieser Erde befindet sich in den Händen von einem Prozent der Weltbevölkerung.

In der neuen Stadtgalerie Port 25 installierte Urs Stahel die Sektion "Wissen, Ordnung, Macht", ein schwieriges Unterfangen. Zugleich auch der schwächste Teil des Festivals. Dort gibt es Datenbanken zu sehen, aber auch Samenbanken, Tierversuche, Abbildungen von Forschungslaboren in der Nacht, Stapel von Dokumenten und von zufällig gefundenen Objekten, hinter denen sich viele Geschichten verbergen - manchmal amüsante, manchmal langweilige, manchmal überflüssige. Oft wird hier Wikipedia bemüht, zuweilen auch ältere Fotos, die beispielsweise die Deportation der Juden in die Konzentrationslager collagenartig zeigen. Das alles ist nicht unbedingt neu, und es bleibt fraglich, ob das in verschiedenen unterirdischen Stollen vergrabene und klimageschützte Wissen im Zweifelsfalle hilft.

Fi Info: 6. Fotofestival LU-MA-HD, 7 Prekäre Felder, bis 15.11., Ausstellungsorte in Mannheim sind die Kunsthalle, die Galerie Zephyr und Port 25. www.fotofestival.info

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