Nationaltheater Mannheim

Wie der Intendant der Krise trotzen will

Gespräch mit dem Mannheimer Schauspiel-Intendanten Christian Holtzhauer über seine Strategie gegen die Corona-Krise

02.06.2020 UPDATE: 04.06.2020 06:00 Uhr 4 Minuten, 2 Sekunden
Bei den „Faust“-Proben (von links): Annemarie Brüntjen, Eddie Irle, Vassilissa Reznikoff und Patrick Schnicke. Foto Sascha Hargesheimer

Von Volker Oesterreich

Mannheim. Die Bühnenkünstler wollen auftreten, das Publikum will gute Vorstellungen erleben. Überall machen sich deshalb die Theaterleute Gedanken, wie sie der Corona-Krise begegnen können. Auch im Nationaltheater Mannheim. Dort ist eine ungewöhnliche "Faust"-Produktion entstanden, die morgen im Rahmen des "Carstival" auf dem Maimarktgelände gezeigt wird. Im Gespräch mit der RNZ erklärt der Mannheimer Schauspiel-Intendant Christian Holtzhauer das Konzept. Außerdem äußert er sich über weitere Strategien gegen die Krise.

Herr Holtzhauer, eine kleine Gruppe von Künstlern des Nationaltheaters präsentiert am Freitag im Rahmen des "Carstival" Goethes "Faust" in einer Art Hörspielversion. Wie muss man sich das konkret vorstellen?

„Wir werden künftig noch stärker als bisher mit anderen Partnern in der Stadt gemeinsame Sache machen“: Das sagt Christian Holtzhauer über die Projekte im Nationaltheater Mannheim. Seit 2018 ist er dort Schauspiel-Intendant. Foto: Alfred Gerold

Das ist Theater, das hauptsächlich über Sprache, Klang und die eigene Fantasie funktioniert. Wie beim Hörspiel eben, aber live. Vier Schauspieler*innen spielen alle Figuren, vor allem die zentralen: Faust, Mephisto, Gretchen und Marthe. Die Sprache ist original Goethe, die Klangwelt von heute. Ein Bühnenbild gibt es nicht, alles, was an Kulisse benötigt wird, muss über Text, Geräusche und Musik hergestellt werden. In der ersten Szene etwa, in der Faust an Selbstmord denkt, scheint er auf einem Hochhausdach zu stehen: Man hört den Wind pfeifen, Straßenlärm und von weit her Sirenengeheul. Der Ton wird direkt aufs Autoradio übertragen, und die Spieler*innen werden abgefilmt, wie sie den Text performen. Die Leinwand ist riesig. Auf diese Weise bin ich als Zuschauer ganz nah dran, obwohl ich eigentlich weit weg im Auto sitze. Es ist toll zu erleben, wie die vier aufeinander reagieren, miteinander spielen – das ist wie bei einer Band.

Das "Carstival" auf dem Maimarktgelände greift die Idee des guten, alten Autokinos auf. Es ist ja eine ziemlich nostalgische Angelegenheit, die es kaum noch gibt, die nun aber durch die Corona-Krise eine Renaissance erlebt. Waren Sie selbst schon einmal in einem Autokino?

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Nein. Aber ich bin sehr neugierig darauf!

Das Nationaltheater hat zahlreiche Online-Angebote gestartet, um während der Corona-Krise dennoch den Kontakt zum Publikum zu halten. Wie sieht Ihre Zwischenbilanz aus?

Grundsätzlich gut. Ich bin begeistert, wie viele verschiedene Formate in kürzester Zeit entstanden sind. Das reicht von Yoga-Stunden mit dem Tanzensemble, Crashkursen durch die Operngeschichte bis hin zu kompletten Inszenierungsmitschnitten. Gerade die persönlichen Geschichten, bei denen das Publikum die Künstlerinnen und Künstler sozusagen privat erleben kann, kommen unglaublich gut an. Allerdings kann gestreamtes Theater die tatsächliche Begegnung natürlich nicht ersetzen. Und bahnbrechende Internet-Kunst haben wir bisher auch nicht produziert. Das Internet ist ein völlig anderes Medium, das man als Theatermacher erst mal verstehen muss. Da fehlt es noch an Vielem: Erfahrung, Personal, technische Ausrüstung. Aber wir lernen jeden Tag dazu. Ich hoffe, dass insbesondere unsere neuen Angebote in den Sozialen Netzwerken auch nach dem Ende der Corona-bedingten Schließzeit Bestand haben werden – sie sind extrem wichtig für die Kommunikation mit unserem Publikum.

Solche künstlerischen Riesenorganismen wie Theater müssen lange im Voraus planen. Gibt es schon Eckpunkte für die nächste Saison?

Wir haben die Pläne insbesondere für die erste Spielzeithälfte angepasst, ein paar Titel geändert, einige größere Projekte auch um ein Jahr verschoben. Kann sein, dass wir bald wieder in den Normalbetrieb zurückkehren können, kann aber auch sein, dass auch die zweite Spielzeithälfte noch von Corona geprägt sein wird. Deshalb heißt es vor allem, flexibel zu bleiben. Unser bisheriges Repertoire können wir bis auf wenige Ausnahmen nicht zeigen. Neue Inszenierungen werden dagegen "Corona-konform" geprobt: Die Schauspieler*innen halten Abstand zueinander. Und die Stücke sind deutlich kürzer, um sie ohne Pause spielen zu können. Um die Kontakte und damit Übertragungswege innerhalb des Ensembles zu reduzieren, arbeiten wir überwiegend mit kleinen Besetzungen. Das muss aber kein Nachteil sein: Wir planen beispielsweise im September eine Bühnenfassung der "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" von Thomas Mann, die war schon vor Beginn der Corona-Pandemie nur für drei Schauspieler*innen konzipiert. Ich denke, dass wir im Juli einen Ausblick auf die kommende Spielzeit geben können.

Keiner kann sagen, vor wie vielen Zuschauern überhaupt künftig gespielt werden kann. Ihr Kollege Oliver Reese lässt gerade Zuschauerreihen aus dem Berliner Ensemble ausbauen, um den Abstandsgeboten gerecht zu werden. Denken Sie auch über solche Maßnahmen nach?

Selbstverständlich, die Abstandsregeln gelten auch für uns, wir werden nur einen Bruchteil der Plätze anbieten können. Im Schauspielhaus rechnen wir derzeit mit 107 Plätzen. Bis wir im September wieder spielen, ist es aber noch ein bisschen hin, vielleicht können wir dann wieder mehr Plätze verkaufen. Auch hier heißt es, gedanklich beweglich zu bleiben und verschiedene Szenarien zu antizipieren. Die Frage ist ja auch, wie sich das Publikum verhalten wird: Wird es sich in dem nur spärlich besetzten Zuschauerraum wohlfühlen? Werden uns die Leute die Karten aus der Hand reißen oder sich nur sehr zögerlich wieder mit anderen Menschen in einen geschlossenen Raum begeben? Das Publikum ist im Moment die unbekannte Größe.

Wie steht es um die geplante Sanierung des Nationaltheaters? Gerät der Zeitplan in Verzug?

Nein. Die Signale, die wir bis jetzt erhalten, deuten nicht auf eine Verschiebung aufgrund der Corona-Pandemie und ihrer ökonomischen Folgen hin. Das wäre auch töricht: Die Mittel des Bundes, des Landes und der Kommune sind bewilligt. Jede Verschiebung macht das Projekt teurer, und die Betriebserlaubnis für das Gebäude am Goetheplatz gilt nur bis Ende 2022.

Sind vermehrt Open-Air-Veranstaltungen eine Option?

So kurzfristig nicht. Wir planen bis zum Ende dieser Spielzeit noch einige kleinere Aktionen, etwa in der Kunsthalle Mannheim. Größere Open-Air-Aufführungen benötigen einen viel längeren Vorlauf und vor allem Planungssicherheit. Die gibt es derzeit nicht. Grundsätzlich sollten wir die Krise aber auch als Chance begreifen, es wäre fatal, nach dem Ende dieses Ausnahmezustands so zu tun, als ob nichts gewesen wäre. Kooperation ist da für mich ein wichtiges Schlagwort. Wir werden künftig noch stärker als bisher mit anderen Partnern in der Stadt gemeinsame Sache machen. Nachdem wir jetzt so lange stillhalten mussten, wollen wir umso sichtbarer werden, wenn wir endlich wieder spielen können.

Glauben Sie, dass die Spielpläne bald von Theaterstücken über die Corona-Krise bestimmt werden?

Das wird hoffentlich noch ein bisschen dauern. Theater ist kein schnelles Medium. Das bietet die Chance, Dinge reifen zu lassen. Wir werden aber sicherlich von Corona geprägte Inszenierungen sehen, schon allein wegen der aktuell geltenden Abstandsregeln. Theater entsteht im Hier und Heute, die Künstler*innen bringen immer das auf die Bühne, was sie gerade bewegt.

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