Keine Maske wegen Asthma

78-jährige Heidelbergerin wird beim Einkaufen und in der Bahn angegangen

Angeranzt und ausgegrenzt - Attest hat sie immer dabei

15.05.2020 UPDATE: 16.05.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 28 Sekunden
Gisela Helmig der Haltestelle Kapellenweg. Sie fährt regelmäßig mit der Straßenbahn zum Arzt. Foto: Hentschel

Von Jonas Labrenz

Heidelberg. Gisela Helmig traut sich mittlerweile kaum noch auf die Straße. Aber nicht aus Angst, sich mit Corona zu infizieren: "Ständig muss ich mich beschimpfen lassen", sagt die 78-Jährige. Der Grund: Sie trägt keine Maske. Doch das muss sie auch nicht. Die alte Frau leidet an Asthma, setzt sie die Maske auf, bekommt sie Atemnot. Laut Corona-Verordnung des Landes darf sie deshalb auch ohne Maske in Geschäfte gehen oder Straßenbahn fahren – doch das sieht man ihr natürlich nicht an. Ihr Arzt hat ihr die Krankheit bescheinigt.

"Ich hab den Wisch ständig dabei", sagt Helmig. Auf dem Brief ihres Arztes ist die Krankheit angegeben, auch ihr Name und ihre Adresse stehen drauf. "Alle plärren von Datenschutz", so die 78-Jährige. Aber sie müsse überall ihre persönlichen Daten zeigen, "damit ich ein paar Tomaten kaufen kann". Oftmals kommt es gar nicht dazu, dass Helmig ihre Bescheinigung hervorholen kann. Bei der Metzgerei habe man gleich das Veterinäramt rufen wollen. "Wollen die mich schlachten?", fragt Helmig. In der Bäckerei wollte man die Polizei holen. "Es geht mir langsam an die Substanz", so die alte Frau.

Noch schlimmer ergehe es ihr in der Bahn. "Als ich eingestiegen bin, kam immer wieder die Durchsage vom Fahrer, ich sollte meine Maske aufsetzen", sagt Helmig. Aber ihren Schein könnte sie gar nicht vorzeigen. Und die Mitfahrer hätten sie ebenfalls "angeranzt". Doch die Handschuhsheimerin ist für ihre Arztbesuche auf die Bahn angewiesen – und mittlerweile ratlos: "Was soll ich noch machen? Mir ein Schild um den Hals hängen, dass ich keine Maske tragen muss?"

Müssen von der Maskenpflicht befreite Menschen nun damit leben, dass sie künftig immer eine Bescheinigung mit sensiblen Gesundheitsdaten vorzeigen müssen? Die Stadt antwortet auf RNZ-Anfrage, man solle sich an die "Verordnungsgeberin", die Landesregierung Baden-Württemberg, wenden. Der Nachweis soll über den Schwerbehindertenausweis möglich sein, erklärt das Sozialministerium daraufhin. "Hat man keinen Ausweis, soll ein ärztliches Attest ausreichen." Die Krankheit muss nicht angegeben werden. Ob eine Art "Befreiungsschein", der weniger persönliche Daten preisgibt, geplant ist, beantwortet das Ministerium nicht. Dafür die Stadt: Es sei nichts geplant.

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Für Menschen mit Behinderungen ist die Umsetzung der Corona-Maßnahmen oft diskriminierend. In Supermärkte darf häufig nur rein, wer einen Einkaufswagen nimmt. Menschen, die auf Krücken oder einen Rollator angewiesen sind, stehen vor einem Problem: "Wie sollen sie denn den Wagen schieben?", fragt Christina Reiß, Behindertenbeauftragte der Stadt. Auch wenn Kunden nur einzeln eintreten dürfen und die Begleitperson draußen bleiben muss, sei das problematisch. In Reiß’ Büro haben sich bereits Menschen gemeldet und erzählt, was ihnen gesagt werde: Wenn sie krank oder auch auf Begleitung angewiesen seien, sollten sie doch Zuhause bleiben. "Da wünscht man sich wirklich mehr Verständnis für Menschen mit Behinderungen", sagt Reiß.

Der Heidelberger Beirat für Menschen mit Behinderungen (BMB) hat zu solchen Aussagen eine klare Meinung: "Das zeugt von wenig Verständnis, ist nicht akzeptabel und sogar diskriminierend." Das Papier "Diskriminierungserfahrungen im Zusammenhang mit der Corona-Krise" der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeige, so der BMB, dass es sich dabei nicht um Einzelfälle handle.

Oft sind es schon Kleinigkeiten, die Menschen ohne Behinderungen gar nicht auffallen, die zu großen Problemen werden können. Mittlerweile sind viele Paketboten dazu übergegangen, Pakete im Treppenhaus abzustellen, um Kontakt zu vermeiden. Gisela Helmig kommt damit aber kaum die Stufen hoch. Man habe doch sicher liebe Nachbarn, heiße es, wenn sie darum bitte, die Pakete an ihre Wohnungstür geliefert zu bekommen.

Die habe sie, so Helmig, "aber das liegt auf einer ganz anderen Schiene". Es würde einfach erwartet, dass alle solche Nachbarn hätten. Aber die 78-Jährige will nicht anderen zur Last fallen, sich Pakete tragen, die Einkäufe holen oder von anderen Menschen zum Arzt fahren lassen. Sie möchte so viel Selbstständigkeit wie möglich behalten.

Info: Infos zum Leben mit Behinderung in der Corona-Krise im Internet unter: www.heidelberg.de/hd/HD/Leben/informationen+zum+corona-virus.html

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