Weinheimer Gemeinderat stimmte Fahrplan für Zukunftswerkstatt zu
Jungstadträtin protestierte, weil Antrag von Günter Deckert elf Stimmen erhielt

Neustadträtin Tamy Fraas. Foto: Kreutzer
Weinheim. (keke) Die Große Kreisstadt Weinheim zählt derzeit rund 45.000 Einwohner. Etwa 25 bis 50 von ihnen dürfen als "Zufallsbürger" bei der weiteren infrastrukturellen Ausrichtung und Entwicklung der Zweiburgenstadt mitreden. Wer das ist, entscheidet das Los. Uli Sckerl (GAL) hat den bereits aus der Bürgerbeteiligung bekannten Begriff des "Zufallsbürgers" am Mittwoch im Gemeinderat als Erster aufs Tapet gebracht.
Mit Inhalt gefüllt werden soll die Zukunftswerkstatt in erster Linie durch die vier "Cluster" Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Mobilität, erläuterte Oberbürgermeister Manuel Just. Klima und Umweltschutz seien als "Querschnittsthema" in allen vier Bereichen enthalten. Gegen weitere "Denkvorgaben" wehrt sich der OB noch. Definitiv sicher ist, dass die von ihm initiierte Zukunftswerkstatt und der darin eingebundene Moderationsprozess von einem Dienstleister begleitet werden. Dieser müsse bis Januar 2020 bestimmt werden: "Damit wir im Frühjahr kompakt in das Projekt einsteigen können", so OB Just.
Kontroversen hatte zuvor ein Antrag von Günter Deckert (DL) ausgelöst. Er wollte wieder mal den Taktstock schwingen und forderte, die Redezeit auf fünf Minuten pro Fraktion zu begrenzen. Weil elf Ratsmitglieder diesen - anschließend mehrheitlich abgelehnten - Antrag unterstützt haben, las Neu-Stadträtin Tamy Fraas (GAL) im weiteren Verlauf der Sitzung ihren Ratskollegen aus den bürgerlichen Fraktionen die Leviten. Sie kritisierte diese Form der "Unterstützung" eines rechtskräftig verurteilten Volksverhetzers scharf.
Eine Beschränkung der Redezeit wäre ohnehin nicht nötig gewesen. Bis auf GAL-Stadtrat Sckerl, der für sein Statement knapp zehn Minuten beanspruchte, blieben alle anderen Redner weit unter der zuvor abgelehnten Fünf-Minuten-Frist. Die Mitsprache von Bürgern vor Entscheidungen, die Weinheims Gesicht in zehn, 20 oder gar 30 Jahren prägen, stieß bei allen Fraktionen auf Zustimmung.
Der Sachstandsbericht der Verwaltung zu dem mittlerweile 15 Jahre alten Flächennutzungsplan zeige, dass eine Fortschreibung und eine Neuerarbeitung erforderlich seien, so der Tenor. Die städtebaulichen Ziele hätten sich in den vergangenen 15 Jahren gewandelt.
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Die "Zufallsbürger" sollten die Gesamtbevölkerung abbilden und auch die "leisen Stimmen" vernehmbar machen, so Sckerl. Aus der Erfahrung ähnlicher Prozesse in der Vergangenheit wisse man, dass meist immer die gleichen Protagonisten mitmischten, wenn es um Beteiligungsprozesse geht. Quer durch alle Fraktionen war man sich darüber hinaus einig, eine "Selbstselektion" ebenso zu vermeiden wie "jugendliche Zufallsbürger" einzubeziehen.
"Transparenz in jeder Phase" lautet eine weitere Maxime. Außerdem wollen sich die Lokalpolitiker zurücknehmen, wenn die "Zufallsbürger" ihre Sicht darlegen und Vorschläge machten. Allerdings müsse allen Beteiligten klar sein, dass am Ende der Gemeinderat abwägt und die Entscheidungen trifft.
Für Günter Bäro (FW) ist die "offene Methode" wichtig, um das Konfliktpotenzial von vornherein einzudämmen. "Dominant ist der Mensch, der hier wohnt und arbeitet." Das "Prinzip Zufallsbürger" berge positive wie negative Aspekte in sich, warnte Holger Haring (CDU). Den "Zufallsbürgern" müsse klar sein, dass "nur einmal dabei zu sein, zu wenig ist".
Euphorisch gab sich Stella Kirgiane-Efremidou. Die Zukunftswerkstatt eröffne die Chance, ein neues Kapitel der Bürgerbeteiligung aufzuschlagen. Allerdings, so die SPD-Fraktionssprecherin, dürften die Zukunftswerkstatt und der auf zwei Jahre angelegte Moderationsprozess eine Kostenobergrenze von 150.000 bis 200.000 Euro nicht überschreiten.
Matthias Hördt ("Die Linke") rief unter dem Stichwort "Kinderbetreuung" dazu auf, es den "Zufallsbürgern" leicht zu machen, ihr Amt auszuüben. Die Auswahl dieser Bürger müsse tatsächlich dem "reinen Zufall" überlassen bleiben, verlangte Wolfgang Wetzel (FDP). Man dürfe die Beteiligten nicht schon zuvor nach Alters-, Berufs- und Einkommensgruppen oder Geschlecht "vorsortieren".
"Wenig Sinn" sah OB Just in dem Vorschlag von Deckert, die Zwischenschritte der Zukunftswerkstatt jeweils mit Volksbegehren zu begleiten. Die Zukunftswerkstatt sei durch die Mitwirkung der Bürger selbst die beste Form der Bürgerbeteiligung, die man sich vorstellen könne. Zuvor hatte Deckert in der Verwaltungsvorlage das Fehlen eines Gesamtflächenplans im Google-Format unter der Fragestellung "Was ist schon versiegelt?" moniert. Just versprach, dass man demnächst einen derartigen Plan im Netzt einsehen könne.
Bereits tags zuvor hatte der Jugendgemeinderat (JGR) das Thema insbesondere unter dem Aspekt des Umweltschutzes "lebhaft diskutiert", wie Just berichtete. Die Jugendgemeinderäte Elena Bürmann und Timo Sattler fassten die Ergebnisse JGR-Sitzung zusammen. Größter Wunsch des JGR: "Durch Kurzfassungen von Zwischenergebnissen der Zukunftswerkstatt online und transparent auf dem Laufenden gehalten zu werden." Zugleich sicherten sie die Mitwirkung und Unterstützung des Jugendgemeinderats zu.
Die Zustimmung des Gemeinderats zur Durchführung einer Zukunftswerkstatt erfolgte einstimmig.



