"Kein Platz mehr im System"

Darum haben die Neckar-Odenwald-Kliniken das Millionen-Minus

Als Grund- und Regelversorger zu viele "einfache" Fälle - Und die werden schlechter vergütet - Hohe Personalkosten

19.07.2019 UPDATE: 20.07.2019 06:00 Uhr 3 Minuten, 4 Sekunden
Deutlich schlechter als geplant fällt die Bilanz der Neckar-Odenwald-Kliniken (im Bild das Krankenhaus Mosbach) für das Jahr 2018 aus: Das Defizit beläuft sich auf rund sieben Millionen Euro, gerechnet hatte man mit 4,5 Mio. Euro Minus. Zahlen und Hintergründe vermittelte man gestern im Rahmen einer Pressekonferenz. Foto: Heiko Schattauer

Von Heiko Schattauer

Neckar-Odenwald-Kreis. Die Spekulationen haben ein Ende, die Zahlen liegen geprüft und bestätigt auf dem Tisch. Und Schwarz auf Weiß ist da für die Neckar-Odenwald-Kliniken das tiefrote Minus abzulesen, die Bilanz des Jahres 2018 weist ein Defizit von rund sieben Millionen Euro aus.

"Ich will gar nicht um den heißen Brei herumreden: Wir haben unser wirtschaftliches Ziel deutlich verfehlt", kommentierte Landrat Dr. Achim Brötel den aktuellen Befund für die Kliniken in Kreisträgerschaft. Geplant hatte man mit einem Verlust in Höhe von 4,473 Millionen Euro, unter dem gestern in Buchen präsentierten Jahresabschluss steht ein Minus von 7,068 Millionen Euro. Die Bilanz fällt damit fast 2,6 Millionen Euro schlechter aus als angenommen, was am Donnerstagabend auch der tagende Aufsichtsrat so festgestellt hatte.

Hintergrund

Die Neckar-Odenwald-Kliniken und ihre Geschichte

Die Wurzeln des Mosbacher Krankenhauses liegen im 15. Jahrhundert. 1949 übernahm der damalige Landkreis Mosbach die Trägerschaft des Spitals vor Ort. 1960 wurde der heute noch bestehende

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Die Neckar-Odenwald-Kliniken und ihre Geschichte

Die Wurzeln des Mosbacher Krankenhauses liegen im 15. Jahrhundert. 1949 übernahm der damalige Landkreis Mosbach die Trägerschaft des Spitals vor Ort. 1960 wurde der heute noch bestehende Krankenhausbau (222 Betten) im Knopfweg fertiggestellt. Von 2001 bis 2003 erfolgte eine Erweiterung mitsamt Neubau, von 2004 bis 2006 wurde umfangreich saniert, seit 2008 gibt es eine zentrale Patientenaufnahme und eine Geriatrische Rehabilitationseinrichtung. Das Ärztehaus wurde 2012 eröffnet.

Das heutige Buchener Krankenhaus wurde 1968 vom Landkreis Buchen (mit 209 Betten) erbaut und löste damit das alte Krankenhaus in der Hettinger Straße (das es seit 1900 gab) ab. Die Anfänge des Krankenhauswesens liegen auch hier im 15. Jahrhundert. Zu Beginn der 1990er-Jahre folgten Sanierungen und Erweiterungen. 1999 bis 2001 wurden unter anderem die Ambulanzräume saniert, 2004 Dach und Außenfassade. Rote Ziegeltonelemente schafften ein neues Erscheinungsbild.

Im Frühjahr 2014 wurde ein neues Bettenhaus eingeweiht, kurz danach die Zentrale Patientenaufnahme (ZPA) und das darüber liegende Ärztehaus. Seit 2016 ist der Ärztliche Bereitschaftsdienst am Krankenhaus verortet. Am Standort soll nun u.a. ein neuer Bettentrakt gebaut werden, Die Ausschreibungen für das 20-Mio.-Euro-Vorhaben laufen.

Beide Häuser, bis dahin als Regiebetriebe des Kreises geführt, gingen 2007 durch eine Umgründung in die Neckar-Odenwald-Kliniken (in Kreisträgerschaft) auf, zu denen seither auch das Wohn- und Pflegezentrum Hüffenhardt, die Geriatrische Rehabilitation und das Bildungsinstitut Gesundheits- und Krankenpflege Mosbach zählen. Rund 1200 Mitarbeiter sind für die NO-Kliniken tätig. (schat/lra)

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Ehe Brötel, Kliniken-Geschäftsführer Frank Hehn, Kreiskämmerer Michael Schor, Kreisentwickler Harald Löffler und der Ärztliche Direktor Dr. Harald Genzwürker sich an die Ursachenforschung machten, wollte der Landrat der in der Tat schlechten umgehend eine gute Nachricht hinterher schieben: "Die Nachfinanzierung ist abgedeckt."

Wie, das erläuterte Kämmerer Schork: "Wir haben ausreichend Rückstellungen gebildet, um das zusätzlich anfallende Defizit abdecken zu können." Das Jahresergebnis des Kreises habe dafür noch Luft geboten, so Schork. Obwohl man zu den steuerkraftschwächsten Landkreisen gehöre und mit einer Kreisumlage von 28 Prozent unter dem Landesschnitt liege: "Bei aller Bescheidenheit, das ist eine gewaltige Leistung, die der Kreis da erbringt", so Achim Brötel, der in Bezug auf die Klinikfinanzierung aber auch sagt: "Es wird immer ein Kampf bleiben." Wie man aus dem 2019 herauskommt, das wisse jetzt noch keiner ganz genau.

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Um in diesem Kampf überhaupt eine Chance zu haben, müsse man sich "zwingend" auf die Kernaufgaben konzentrieren. Und in diesem Zusammenhang sei dann auch der (geplante) Verkauf des Wohn- und Pflegezentrums (WPZ) Hüffenhardt einzuordnen. Das ist ebenfalls defizitär, die Bilanz 2018 weist ein Minus von 650.000 Euro aus.

Der Betrieb des WPZ gehöre aber – anders als der der Krankenhäuser – nicht zu den Pflichtaufgaben eines Kreises, so Achim Brötel. Vor diesem Hintergrund sei "dauerhaft nicht mehr zu vermitteln", dass über die Kreisumlage Städte und Gemeinden für den Verlustausgleich herangezogen werden. Einen am Kauf interessierten Investor gibt es, aktuell laufen Gespräche mit einem (neuen) potenziellen Betreiber, nachdem die Convivo-Gruppe ihre Zusage für die Übernahme des Betriebs zurückgezogen hat.

Beim Schwenk auf die Krankenhäuser wollte der Landrat zunächst Grundsätzliches geklärt wissen: "Nie und immer" werde man in zentralen Bereichen des Krankenhausbetriebs "auf einen grünen Zweig" kommen können. "Ja, ich würde sogar so weit gehen zu sagen: Für Häuser der Grund- und Regelversorgung ist in dem bestehenden System der Krankenhausfinanzierung momentan kein Platz mehr", befand Brötel.

So seien etwa die Kliniken für Innere Medizin in Mosbach wie in Buchen trotz voller Auslastung (2018 sogar über die 100 Prozent) hoch defizitär. Der Vorsitzende des Kliniken-Aufsichtsrats spricht in diesem Zusammenhang von einer "systemimmanenten strukturellen Unterfinanzierung der Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung im ländlichen Raum".

Untermauert sieht Brötel diese These unter anderem von den 1,5 Millionen Defizit, die allein auf die Notaufnahmen entfallen: Trotz 126 Euro ermittelter Fallkosten bekomme man gerade mal ein Drittel vergütet, den Rest lege man drauf. Die "Verweigerung einer angemessenen Bezahlung" der Krankenhausleistung ist für den Landrat "schlicht ein Skandal".

Trotz gestiegener Fallzahlen sei der Verlust im Vergleich zu 2017 um 1,8 Millionen höher ausgefallen. Das liege unter anderem daran, so Geschäftsführer Frank Hehn, dass die Personalkosten gestiegen seien (just um 1,8 Millionen Euro) und man als Grund- und Regelversorger eben zunehmend mehr "einfache Fälle" (etwa ältere Menschen mit vergleichsweise simplen Krankheitsbildern) im Krankenhaus zu behandeln habe – mit entsprechend geringerer Vergütung. In Baden-Württemberg haben viele Kliniken das gleiche Problem (51 Prozent arbeiten defizitär), da die Personalkosten im Ländle höher seien als in anderen Bundesländern (im Pflegedienst etwa 6 Prozent).

An Rückzug denkt man von Kreisseite dennoch nicht, Defizit hin, verfehlte Ziele her. Auch wenn jüngst veröffentlichte Studien kleinen Krankenhäusern (auf dem Land) die Existenzberechtigung absprechen. "Wenn es unsere Krankenhäuser nicht mehr gäbe, dann gäbe es hier auch keine notärztliche Versorgung mehr", stellt Achim Brötel klar. Der sich zudem fragt, wo die 62.000 Patienten, die man im Laufe des Jahres 2018 an den NO-Kliniken behandelt hat, bei einer Reduktion der Häuser unterkommen sollten. Die Bertelsmann-Studie gehe "um Lichtjahre an der Realität vorbei".

Die sieht an den NO-Kliniken mit Blick auf die Bilanz mehr als ernüchternd aus. Und Besserung ist nicht in Sicht: "Mutmaßlich wird das Defizit 2019 eher noch größer", prognostiziert Landrat Brötel. Wie lange der Kreis das alles stemmen kann, müsse man sehen.

Der Appell aller Verantwortlichen geht in Richtung Politik: "Krankenhäuser wie unsere sind unverzichtbar, aber der Gesetzgeber tut alles, um sie kaputt zu machen", sagt Brötel. Den Kampf aufgeben ist aber keine Option: "Wir sind uns unserer Verpflichtung den Menschen im Kreis und unseren vielen Mitarbeitern bewusst", so Frank Hehn.

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