Kostenloser Nahverkehr

Gratis Bus und Bahn fahren für bessere Luft?

Die Bundesregierung wirbt in Brüssel für diese Idee – Doch die Umsetzung steht in den Sternen – Mannheim als Modellstadt ausgewählt

13.02.2018 UPDATE: 14.02.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 22 Sekunden

Eine Straßenbahn auf den Mannheimer Planken. Dass Passagiere ein Ticket benötigen, dabei dürfte es vorerst bleiben. Foto: Uwe Anspach

Von Andreas Hoenig und Daniel Bräuer

Berlin/Brüssel/Mannheim. Es ist ein überraschender Vorstoß in der Debatte über abgasgeplagte Städten: Die Bundesregierung denkt über einen kostenlosen Nahverkehr nach. Doch bis dahin sind noch viele Fragen zu beantworten. Hintergründe:

Worum genau geht es?

Deutschland droht eine Klage, weil seit Jahren in vielen Städten Grenzwerte für gesundheitsschädliche Stickoxide nicht eingehalten werden. Die EU-Kommission hatte die Regierung aufgefordert, mehr zu tun, um die Werte künftig einzuhalten. Daneben drohen gerichtlich erzwungene Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge. Denn der Autoverkehr, vor allem Dieselmotoren, sind eine wichtige Quelle für Stickoxide.

Wie reagiert Berlin?

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Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), Verkehrsminister Christian Schmidt (CSU) und Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) schickten mit Datum vom 11. Februar einen Brief nach Brüssel. Darin der Vorstoß: Die Bundesregierung erwäge zusammen mit Ländern und Kommunen einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr, um die Zahl privater Fahrzeuge zu verringern. Außerdem sollen "bei Bedarf" Städte darin unterstützt werden, wirksame Verkehrsregeln auf den Weg zu bringen, um die Umweltverschmutzung zu reduzieren. Für Schwerlastverkehr solle es "Niedrig- emissionszonen" geben. Die Wirksamkeit solle in fünf Städten getestet werden: Bonn, Essen, Herrenberg, Reutlingen und Mannheim.

Warum Mannheim - und was ist dort genau geplant?

Darauf gab es Dienstag weder aus Berlin noch aus Mannheim eine Antwort. Laut jüngsten Zahlen des Umweltbundesamts ist die Stadt eine von 37 bundesweit, die 2017 den Grenzwert für NO2-Belastung sicher überschritten haben. OB Peter Kurz (SPD) betonte nun: "Ich begrüße, dass Mannheim bei den Städten ist, die wirksamere Maßnahmen testen können, und sehe darin Chancen." Ralf Eisenhauer, SPD-Fraktionschef im Gemeinderat, begrüßte den Vorstoß als "großartige Idee".

Was würde ein Gratis-ÖPNV kosten?

Laut Mannheimer Zahlen betragen alleine die Ticketeinnahmen in Stadtbahnen und Bussen rund 80 Millionen Euro jährlich, im gesamten VRN etwa 300 Millionen Euro. Bundesweit sind es laut Verband Deutscher Verkehrsunternehmen rund 12 Milliarden Euro, das entspricht der Hälfte der Etats der Betriebe. Der Verband sieht den Vorstoß denn auch "sehr kritisch", so eine Sprecherin.

Und wer soll das bezahlen?

Das ist bislang völlig unklar. "Das müsste am Ende der Steuerzahler finanzieren", heißt es beim VDV. Der Städtetag hat den Bund bereits an das Prinzip erinnert: "Wer bestellt, bezahlt."

Ist der Vorstoß überhaupt umsetzbar?

Auch das ist unklar. Denn Busse und Bahnen sind vor allem in Großstädten schon überfüllt, bei kostenlosen Tickets würden sie vermutlich noch voller. Der gesamte ÖPNV müsste massiv ausgebaut werden, mit modernen und umweltfreundlichen Bussen und Bahnen, das aber dauert Jahre.

Gibt es schon irgendwo Gratis-ÖPNV?

Es gibt Freifahrten für einzelne Kundengruppen, etwa Schwerbehinderte und - seit diesem Jahr - Landesbeamte in Hessen. Mit Freifahrten für alle Fahrgäste gibt es aber nur wenig Erfahrung, obwohl darüber seit Jahrzehnten diskutiert wird. Das brandenburgische Templin hat einen Versuch 2003 nach fünf Jahren aufgegeben - die Fahrgastzahlen hatten sich vervielfacht, aber es war auf Dauer zu teuer. Auch die Spreewaldstadt Lübben verbannte zeitweise die Fahrscheine. Als erste europäische Hauptstadt begann das estnische Tallinn vor fünf Jahren ein Experiment mit fahrscheinlosem ÖPNV für die Bewohner. Das belgische Hasselt sowie Portland und Seattle in den USA haben Versuche gestartet, inzwischen aber abgebrochen.

Wie geht es jetzt weiter?

Mannheims Erster Bürgermeister und für den ÖPNV zuständiger Dezernent Christian Specht kündigt an: "Wir werden uns nun mit dem Bund zusammensetzen, um zielführende ÖPNV-Maßnahmen für Mannheim zu besprechen." Schnell umsetzbar und kurzfristig wirksam seien Verbesserungen wie attraktive Fahrpreise, dichtere Takte und neue Verbindungen. Ende Juli will Mannheim zudem seinen "Green City Plan" in Berlin vorlegen, in dem mit dem Verkehrsverbund, der rnv sowie den Nachbarstädten Vorschläge zur Verbesserung der Luftqualität entwickelt werden. Specht schlägt vor, "sinnvollerweise" auch Ludwigshafen und Heidelberg in das bereits geplante Sofortprogramm des Bundes "Saubere Luft 2017-2020" aufzunehmen.

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