Die Linke

Europawahl ist für Schirdewan eine "Abstimmung über die falsche Kürzungspolitik"

Ohne Wagenknecht auf Kernthemen konzentrieren: Linken-Spitzenkandidat Martin Schirdewan sprach mit der RNZ auch über die Verrohung im aktuellen Wahlkampf.

06.05.2024 UPDATE: 06.05.2024 20:45 Uhr 3 Minuten, 50 Sekunden
Martin Schirdewan bei einer Wahlkampfveranstaltung auf dem Uniplatz. Foto: Philipp Rothe
Interview
Interview
Europaabgeordneter Martin Schirdewan
Bundesvorsitzender der Linkspartei

Von Daniel Bräuer

Heidelberg. Der Europaabgeordnete Martin Schirdewan ist seit 2022 Bundesvorsitzender der Linkspartei und erneut Spitzenkandidat seiner Partei für die Europawahl. Die RNZ traf Schirdewan bei seiner Kundgebung auf dem Heidelberger Universitätsplatz.

Herr Schirdewan, wie gut kennen Sie Matthias Ecke?

Ich kenne ihn aus der gemeinsamen Parlamentsarbeit. Wir haben ein gutes persönliches Verhältnis. Ich bin wirklich sehr entsetzt, dass er Opfer dieses Angriffs geworden ist. Ich hoffe, dass er schnellstmöglich aus dem Krankenhaus kommt!

Wie sicher fühlen Sie sich selbst noch im Wahlkampf?

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Mir persönlich ist noch nichts passiert außer den üblichen Zwischenrufen und Beschimpfungen. Aber ich bin da nicht der Maßstab. Wahlkämpfer meiner Partei sind bereits angegriffen worden, die anderer Parteien auch. Alleine in Sachsen sind von uns 7000 Wahlplakate zerstört worden. Da ist eine Aggressivität eingezogen, die mich sehr besorgt. Man muss ganz deutlich machen, dass es eine Grenze gibt dazwischen, unterschiedliche politische Positionen deutlich zu machen, und der sinnlosen Zerstörung und den Angriffen auf die Demokratie von der extremen Rechten, die hinter diesen Angriffen steht.

Die AfD würde sagen: Auch unsere Plakate werden zerstört.

Aber was sich da gerade an Gewalt entlädt gegen Repräsentanten anderer Parteien, das ist ein Ergebnis der Ablehnung der Demokratie als solcher. Daran hat die AfD als antidemokratische Kraft, die in einigen Landesverbänden mit einer klar faschistischen Orientierung Politik betreibt, einen gehörigen Anteil. Da geriert sich der Täter als Opfer, wenn die AfD das Klima beklagt, das sie selbst geschaffen hat.

Ist es für Sie leichter, Wahlkampf zu betreiben, seit sich Sahra Wagenknecht mit ihrer BSW abgespalten hat?

Wir haben zumindest Klarheit. Das gibt uns die Gelegenheit, dass wir mit unseren Kernforderungen nach sozialer Gerechtigkeit, nach bezahlbaren Mieten wieder stärker erkennbar werden. Das ist ganz zentral, weil die internen Auseinandersetzungen in der Vergangenheit uns geschadet haben. Wir als Linke tragen eine Verantwortung, die Gesellschaft gerechter zu gestalten. Die Steigung der Lebenshaltungskosten hat vor allem Menschen mit niedrigeren Einkommen massiv getroffen. Auf die Leute kommen wieder höhere Energiekosten zu, aber die Löhne halten nicht Schritt. Dass die Bundesregierung sich weigert, die europäische Mindestlohndirektive umzusetzen – das wären über 14 Euro die Stunde, meine Partei fordert 15 Euro –, halte ich für einen Skandal.

Das ist aber keine Frage für den Europawahlkampf.

Einspruch: Das ist ein kerneuropäisches Thema. Das Parlament hat lange darum gekämpft, dass es einen entsprechenden Mindestlohnsatz in Europa geben soll: 60 Prozent des Medianeinkommens. Die amtierende Regierung bricht europäisches Recht. Das zeigt, welchen Einfluss Europa zum Besseren der Menschen haben könnte. Aber da steht die Ampel auf der Bremse.

Über die dennoch am 9. Juni nicht abgestimmt wird.

Aber wir machen das zu einer Abstimmung über die falsche Kürzungspolitik.

Sie haben vor fünf Jahren die "Sozialunion" als Ihr Ziel ausgegeben. Ist die zum Beispiel mit der Mindestlohndirektive ein Stück näher gerückt?

Wir haben tatsächlich vieles umsetzen können als Linksfraktion im Europäischen Parlament. Wir haben auch das Plattformarbeitergesetz durchgesetzt, wo es um größeren gewerkschaftlichen Schutz für Leute geht, die bei digitalen Unternehmen wie Amazon und Uber angestellt sind. Das war davor Wildwest, jetzt gibt es zum Beispiel Anspruch auf Urlaubsgeld und Mutterschutz. Wir haben auch beim Schutz auf Baustellen im Umgang mit Materialien wie Asbest und Blei vieles durchgesetzt.

Nun erleben wir nicht nur auf den Straßen, sondern auch im Parteiensystem einen Rechtsruck. Was wird das für die künftige Arbeit im EU-Parlament bedeuten?

Dieser Kampf ist noch nicht entschieden, aber die Gefahr besteht. Die beste Versicherung dagegen ist ein starker Sozialstaat. Man muss aber auch klar sagen, dass es keine Kompromisse mit Faschisten geben kann. Was Ursula von der Leyen jüngst geäußert hat, dass sie zur Zusammenarbeit mit der Postfaschistin Meloni oder den Schwedendemokraten oder Vox bereit ist, nur um ihre Macht zu sichern, das halte ich für fatal. Die Konservativen sind aufgefordert, ihr Brandmauer nach rechts nachzuschärfen. Wenn die Union das nicht durchsetzt, besteht wirklich die Gefahr, dass die extreme Rechte erstarkt.

Spielt für Sie diesmal eine Rolle, wer Kommissionspräsident wird?

Wir sind vor allem daran interessiert, die Alltagssorgen der Menschen in Politik umzusetzen. Da geht es um ganz existenzielle Fragen: Bezahlbare Mieten, bezahlbare Lebensmittel, gute Arbeits- und Lohnbedingungen. Es muss möglich sein, ein Leben in sozialer Sicherheit zu gestalten. Die extrem Rechten profitieren von diesen Ängsten. Mein Anspruch ist, dass wer auch immer die Kommission führt, sich dieser Probleme bewusst ist. Bei Ursula von der Leyen habe ich da große Zweifel. Deshalb hoffe ich sehr, dass wir als Linke gestärkt ins Europäische Parlament einziehen, um noch mehr Druck zu machen.

Danach sieht es derzeit gar nicht aus. Hat sich die Linke durch die Trennung marginalisiert?

Nein. In dieser Klärung besteht die Chance, dass wir gestärkt daraus hervorgehen. Die neue Geschlossenheit wird dazu beitragen, dass wir mit einheitlichen Punkten erkennbar werden und unseren Markenkern stärken.

Ist Ihre Co-Spitzenkandidatin Carola Rackete der personifizierte Gegenentwurf zu Wagenknecht?

Carola Rackete ist eine Linke im besten Sinne. Sie steht für soziale Klimapolitik und hat als Kapitänin klargemacht, dass wir nicht bereit sind, das individuelle Asylrecht zerschlagen zu lassen, weil es gerade en vogue ist, dem Druck der Rechten nachzugeben. Wir sind eine Partei der Solidarität und der sozialen Gerechtigkeit. Das spiegelt sich in den großen gesellschaftlichen Fragen von Klima- oder Migrationspolitik. Und ich bin froh, dass mit Carola, aber auch Gerd Trabert, dem "Arzt der Armen", zwei unabhängige auf unserer Liste kandidieren. Das ist ein gutes Signal, dass die Linke für die progressive Zivilgesellschaft eine wichtige Ansprechpartnerin ist.

Gab es eigentlich keinen in den eigenen Reihen, um diese Themen glaubwürdig zu besetzen?

Es gibt ganz tolle Genossinnen und Genossen bei uns in der Partei. Aber es ist ein starkes Signal, dass die Linke mehr ist als die Partei "Die Linke". Es ist ein strategisches Ziel, als Vertretung der Menschen, die von Armut bedroht sind, die abhängig beschäftigt sind, mit der Zivilgesellschaft, mit Gewerkschaften, mit NGOs, mit kritischen Geistern zusammenzuarbeiten, um insgesamt eine fortschrittliche linke Politik umzusetzen.

Haben Sie ein Ziel für den 9. Juni?

Wir sind jetzt fünf Abgeordnete. Mein Ziel wäre, dass wir mindestens wieder so viele sind.

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